Ostern war früher auch mal ruhiger

Es gibt keine Zeit im Jahr, die ich mehr fürchte als zusammenhängende Feiertage. Kaum hab ich Weihnachten überlebt, klopft der Osterhase an die Tür. Wie ich dieses Langohr hasse! Schulferien, Feiertage, Kinder zu Hause! Ich liebe diese kleinen Terroristen. Ja, wirklich. Jeden. Einzeln. Nur als Zusammenrottung sind die schlimmer als jede Horde Zombies. Die rollen einfach über alles drüber, zerstören, schlachten aus, richten Unheil an und sind dabei so fürchterlich laut am lachen. Jeder Horrorfilm ist Kinderkacke dagegen! Was nun folgt ist eine Chronik meines körperlichen und geistigen Zerfalls über die Feiertage.

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Einfach mal jammern

Egal wie lustig sich manches aus unserem Haus anhört, anstrengend ist es im Abgang immer. Irre anstrengend bisweilen. Manchmal so anstrengend, dass ich alles hinschmeißen und Hängematratzentester auf Bali werden will. Weil das aber nicht geht und ich mir dieses ganze laute Durcheinander irgendwie selbst ausgesucht habe, muss ich halt jammern. Das kann ich gut.

Als Dompteuse von fünf Kindern und eines verhaltensoriginellen Mannes habe ich das Jammern zur Kunst erhoben. Ich kann das laut, leise, sarkastisch, ironisch, ernst, mit Schnodder, ohne, schriftlich, mündlich, stehend, liegend, sitzend und auch gemalt. Aber vor allem kann ich eines gut: mich aufregen.

Das sollte man ab und an auch tun. Bevor man chronischen Flatterpuls bekommt oder die Aussicht auf einen netten Amoklauf am Montagmorgen im überfüllten Supermarkt ganz entspannend findet. Dann sollte man einfach mal Luft ablassen, aufs Feld raus und schreien, Schimpfwörter ins Tagebuch schreiben oder den Tag ganz einfach richtig scheiße finden und das auch sagen. Gerne in Schachtelsätzen. Dann verliert sich die Schwere der Belastung ein wenig. Denn egal wie stressig und nervtötend, wie zeitraubend und pulstreibend das Leben mit Kindern sein kann. Am Ende liebt man die Plagen ja doch. Wenn sie schlafen. Und keiner ans Nutella geht, außer den Eltern, die das dann schluchzend auf dem Sofa direkt aus dem Glas löffeln. Was wir hier natürlich niemals machen würden!

Diese ganze Instagram-Idylle von perfekt angezogenen Kindern, die friedlich im Garten spielen oder ohne Schokolade an den Händen auf der weißen Couch mit pastellfarbenen Kissen sitzen ist nett. Nett, hübsch anzusehen, aber ein Märchen. Am Ende des Tages kann ich mir nichts Schöneres (doch!) vorstellen, als hinter fünf Kindern herzuräumen, Schubladen wieder einzuhängen oder zerbrochenes Geschirr zusammenzukehren. Mein Sofa war nie weiß, aber orange, bis es liebevoll mit Mascara, Penatencreme, Kakao und Joghurt eingerieben wurde. Schöner wurde es dadurch nicht, aber fleckiger. In Berlin würde man das so bearbeitete Möbelstück in einem sonst spärlich eingerichteten Raum vor eine nackte Betonwand stellen und das als „Loft-Chic“ über Airbnb untervermieten. Hier aufm schnöden Land ist das Sofa halt einfach kinderintensiv abgeranzt.

Das Lettering stammt von der wunderbaren Fräulein Hedwig | hier geht’s zu ihrem Instagram-Profil

Und das macht mich ab und an wahnsinnig. Jetzt könnte man sagen: Erzieh deine Kinder halt besser. Jetzt könnte ich mir das zu Herzen nehmen und mir Hilfe bei der Bundeswehr suchen. So ein bisschen Drill hat ja noch keinem geschadet. Aber: Nö. Die sind entweder noch zu jung, um zu verstehen, dass Joghurt nicht aufs Polster gehört. Oder sie haben es – dank kurzer Aufmerksamkeitsspanne – nach fünf Minuten wieder vergessen. Oder sie sind inzwischen zu Teenagern herangewachsen, die ja auch einen Berg Dreckwäsche in ihrem Zimmer liebevoll aus „Myll“-Kunst bezeichnen. Und die muss liegen bleiben, sonst kann’s ja keiner sehen. Oder sie sind vier und bockig und du bist eh die böse Mama, egal was du sagst. Ich rede mir ganz oft ein, dass ich gewonnen hab, wenn sie alle im Bett liegen und schlafen.

Dass ich zwischen Kindergarten, Schule, Wäsche, Arztterminen, Pflegedienst und Ehrenamt (Bin ich als stellvertretende Schulelternsprecherin ehrenamtlich tätig oder einfach nur bekloppt? Gute Frage, ne.), Kochen und Hausaufgabenhefte kontrollieren, keines der Kinder irgendwo in der Pampa vergessen habe, rechne ich mir jeden Abends aufs Neue hoch an. Und das war auch der längste Schachtelsatz heute.

Dass ich manchmal wie der Hulk laut schreiend aus der Haut fahren möchte, kann man das nachvollziehen? Meine Tage sind oft zu kurz, um alles zu schaffen. Die Wäsche bleibt liegen. Das Chaos im Wohnzimmer auch. Die Nächte sind anstrengend, wenn der Blutzucker vom Söhnchen mal wieder Achterbahn fährt und seine Zwillingsschwester partout nicht in ihrem Bett schlafen will. Dann hab ich plötzlich drei Kleinkinder in meinem Bett liegen und schlafe am Ende der Nacht am Fußende, weil die sich so verflixt breit machen. Dass ich trotzdem vor Liebe zerfließen könnte, wenn diese pausbäckigen Monster im Schlaf die niedlichsten Grimassen ziehen, sag ich lieber nicht. Dass ich stolz bin, wenn ich sehe, wie sich meine älteste Tochter entwickelt, verrat ich nicht. Dass ich ihren trockenen Humor und beißenden Sarkasmus liebe, weil sie den von mir hat, braucht sie auch nicht zu wissen. Dass meine Stieftochter aufblüht und bald auf die weiterführende Schule wechselt, macht mich froh. Dass meine Vierjährige so ein wundervoll altkluger Dickkopf ist, das sage ich ihr täglich. Und sie sagt mir, dass ich eine liebe alte Mama bin.

Und trotzdem möchte ich manchmal die Tür hinter mir ins Schloss fallen lassen und ans Meer fahren. Allein. Nur die Wellen und ich. Warum ich das nicht mache? Weil das alte Auto die Strecke nicht mehr schaffen würde und ich sowieso nach einem halben Tag heulend wieder zu Hause säße, weil ich diese Horde Kinder und dieses Leben schrecklich vermissen würde. Bekloppt. Ich weiß. Ihr würdet es ja auch nicht anders machen. Gebt es ruhig zu.

Das! Ist! Sparta!

Manchmal kommen mein Mann und ich auf ganz wunderliche Ideen. Das bleibt bei fünf Kindern nicht aus. Denn ohne Schaden überlebt man das Zusammenleben mit zwei Teenagern und drei Kleinkindern halt einfach nicht. Vor kurzem kam der Gatte ja auf die grandiose Idee bei laufendem Betrieb die Küche umzubauen. Das zieht sich jetzt seit Februar, aber es wird. Es ist abenteuerlich, aber wir sehen da sowas wie ein Ziel. Vor ein paar Tagen aber waren wir ganz schlau: er geht mit den Teenies Schuhe kaufen und ich koche zu Hause im Beisein der „Drillinge“ das Abendessen. Wird easy peasy. Ganz entspannt. Erinnert ihr auch an die Szene aus „300“, in der Leonidas „THIS IS SPARTA!“ brüllt? Solche Szene spielen sich hier ab, wenn die Kinder merken, dass sie jetzt leichtes Spiel haben. Das sind Szenen eines Peloponnesischen Krieges würdig, in dem wir Eltern – ganz klar – die griechischen Verlierer sind.

Nun hat sich die Zahl der Streitkräfte auf beiden Seiten aber gedreht. Und wir sind selbst schuld. Dass wir gegen die Kinderzahl im Haus unterlegen sein könnten, haben wir schon kurz nach Geburt unseres ersten gemeinsamen Kindes bemerkt. Das ging strategisch aber noch ganz gut auf. Dann wurde ich – hoppla – nochmal schwanger und wir sahen unsere Felle sanft davonschwimmen. Bis zum dem Moment als feststand, dass es Zwillinge werden. Fünf gegen zwei. Wir liegen seither öfter in Embryonalstellung hinter der Tür, in der Hoffnung von keinem der Kinder hier entdeckt zu werden. Aber das geht leider nicht immer, denn diese Folterspezialisten, von denen zwei gerne mal über mehrere Tage das gleiche Paar Socken tragen, damit sich ein tränengasartiger Geruch entwickeln kann und die übrigen drei Stimmfrequenzen haben, die Erdbeben auslösen können, müssen ja auch mal eingekleidet werden. Denn: Wachsen tun sie ja auch noch unablässig. Das ist eine Kriegslist. Also haben mein Mann und ich uns aufgeteilt. Zwei gegen einen und drei gegen eine.

Ob wir manchmal bekloppt sind? Ja. Ob wir nach fast zwei Jahrzehnten Elternschaft immer noch reichlich blöde Anfängerfehler machen? Klar! Ob wir die chaotische Wucht unserer Kinder ein ums andere Mal unterschätzen? Logo!

Also fährt der Mann entspannt mit den großen Mädchen los zu Reno und ich sortiere mir die Töpfe auf die neue Induktionskochplatte. Das klingt in der Theorie immer alles ganz hübsch, wenn da nicht die Praxis wäre. Schon mal mit Teenagern shoppen gewesen? Nur Weisheitszähne ziehen lassen ist schöner. Aber von diesem Drama in vier Akten bekomme ich hier nichts mit, denn in meiner Küche piept es fürchterlich laut, umrahmt vom Geschrei der Zwillinge, die mir unter arhythmischem Geklapper ihre Töpfchen in den Weg stellen. Das Piepen kommt entweder von der Dunstabzugshaube oder dem Kochfeld, aber da leuchtet nix. Nach einiger audiophiler Verwirrung steht fest, Neo! Konstantin! Gaede! hat den Wecker am neuen Backofen gestellt. Das kann er also auch. Während ich Kartoffeln schäle, holen die Zwillinge kleine Hocker herbei und stellen sich links und rechts von mir auf, um – besser als jeder Sportkommentator – meine Arbeit zu beschreiben. Long story short: Ich bin eine böse Mama. Weil ich das Kochfeld wieder einschalte, nachdem die dunklen Herrscher es ausschalten. Immer abwechselnd. Einer steigt auf den Hocker und schaltet aus. Der andere wartet und applaudiert. Nachdem ich klargestellt habe, dass ich die Kontrolle über den Herd habe, drehen sie mir beleidigt den Rücken zu und ziehen ab. In der nun folgenden fünfminutigen Stille kann ich zwar die Klöpschen formen und in die Pfanne legen, die Kartoffeln aufsetzen und die Dose frischgeernteter Erbsen in einen Topf gießen, aber ich habe auch in jeder verdammten Sekunde Panik, dass die zwei irgendwas anstellen. Und da fällt mir ein: Wo ist die Dritte?

Das dritte Kind sitzt leise summend im Wohnzimmer und malt mit meinem Lippenstift wunderschöne impressionistische Gemälde auf die weiße Kommode. Bei dem Anblick hebt sich seltsamerweise nicht mal mein Puls an – das nennt man dann wohl Konditionierung. Wenigstens hat es dieses Mal nicht den Fernseher getroffen. Ich nehme ihr also den Lippenstift ab und verweise auf das Malbuch, das auf dem Tisch liegt und renne wieder in die Küche. Denn: da piept es! Schon wieder. Dieses Mal ist es nicht der Wecker am Backofen. Nein, das Induktionskochfeld piept. Hätte ich ja gleich draufkommen können. Nur habe ich nicht den Hauch einer Ahnung weshalb. Diese verfluchte Technik! Ich will doch nur Klöpschen braten! Und wo sind die Zwillinge hin?

Die stehen im Kinderzimmer und ziehen sich gerade die Windeln aus. Voll schön. Dann brennt jetzt halt die Küche, aber Zwillinge ohne Windeln am Bobbes sind riskanter als jede Rauchentwicklung auf dem Herd. Nachdem ich beiden frische Windeln angezogen habe und zurück in die Küche stolpere, um festzustellen, dass es immer noch piepst, kommen die Teenager mit halbwegs glücklichen Gesichtern zur Tür rein. Der Mann hingegen wirkt etwas blass. Das ist dann aber auch der Moment, in dem ich sage, dass ich nie wieder koche, wenn ich mit den drei Kleinsten allein zu Hause bin und meine große Tochter mit leicht genervtem Blick zum Herd geht, das Wasser vom Kochfeld wischt und sagt: „Mann, Mama! Die Platte war nass. Dann geht der Alarm los. Stell das doch mal ab.“ Klar, die Platte quakt, wenn Wasser draufkommt. Warum wusste ich das nicht? Wer erfindet sowas? Warum weiß der Teenie das? Kann ich jetzt ins Bett? Und woher kommen die Schutzgelderpresser hinter mir plötzlich her? Die Zwillinge – nämlich – haben die 3D-Brillen aus der Schublade gekramt und sehen damit fürchterlich gefährlich aus. So gefährlich, dass ich umgehend Klöpschen als Anzahlung herausgebe. Oder als Kriegsopfer. Denn gegen meine Nerven hat die Bande auf jeden Fall mal wieder gewonnen.

Vielleicht tapezieren wir nächste Woche, wenn ich die Diabetessprechstunden und Kieferorthopädentermine mit den Kindern abgeklappert habe. Weil ich eventuell – aus Versehen – gestern die alte, vollgemalte Tapete im Wohnzimmer von den Wänden gerissen hab. Ich schätze mal, das war eine Übersprunghandlung. Irgendetwas in der Art. Es war so still im Haus. Kein Kind hat geschrien. Der Mann war arbeiten. Es herrschte kein Chaos. Und das konnte ich so nicht stehen lassen.