SelfCare. Haha.

Lasst uns mal über Selfcare reden. Selbstliebe bei Müttern. Sich kümmern. Um sich selbst. Den Körper, das Wohlbefinden, den Geist, die Seele. Das ganze stramm gestresste Paket. Und dabei wären wir ja schon beim Kern des Problems. Bei mir. Nehmen wir doch einfach mal mich als Beispiel. Das wird gut. Ich versprech’s.

Ich bin tatsächlich zu blöd, mich um mich selbst zu kümmern. Kann’s nicht. Hab keine Zeit. Irgendwas ist immer. Ach guck, schon so spät. Kümmer du dich doch!

Ich führe öfters solche Streitgespräche mit mir selbst. Beim Kochen oder Wäsche zusammenlegen. Wäsche falten ist ja mein Wellness. Ich war noch nie in einem Wellness Hotel, wüsste gar nicht, wie ich mich da verhalten muss. Meine Gedanken springen. Immerzu. Das ist ja auch irgendwie Sport. Und Sport ist Selfcare. Ihr seht, das hier könnte chaotisch werden. Also sortiere ich mich mal.

Mein Mann hat mir vor nicht allzu langer Zeit vorgeworfen, ich sei der einzige Mensch, den er kenne, der sich um alle anderen kümmert. Dann kam noch irgendeine Beschwerde, ich würde mich nie um ihn kümmern, aber das kann nicht sein, er lebt ja noch. Ich habe ihm dann entgegnet, alle anderen sind unsere Kinder und an dem Umstand sei er ja nun auch nicht unschuldig. Setzen wir da an.

Mir ist tatsächlich erst jetzt aufgefallen, dass mit jedem weiteren Kind die Zeit schneller rennt. Die Tage fließen ineinander über. Arzttermine und Elternabende wechseln sich ab mit Arbeit, Haushalt, Tomatenflecken und Mülltonnen vor die Tür stellen. Es gab eine Phase während meiner letzten Elternzeit, nachdem ich die Zwillinge entbunden hatte, in der ich wirklich Zeit hatte. Wenn die Babys schliefen, wenn der Haushalt ruhte. In der Zeit fing ich an Sport zu machen und stellte fest, dass mir das gut tut. Richtig gut. Am Ende bin ich Halbmarathon gelaufen und war in der Form meines Lebens. Da hat halt auch alles ineinander gegriffen: Schule, Kindergarten, Elternzeit. Die Familie lief „rund“ und ich konnte mir Zeit für mich nehmen. Und dann: Peng! Diagnose „Diabetes mellitus Typ 1“ bei meinem damals zwei Jahre alten Sohn.

Das hat einfach alles durcheinander gewirbelt. Das hat die Prioritäten nochmal neu verschoben und die täglichen Routinen außer Kraft gesetzt. Und so ist es geblieben. Ich fing wieder an in Teilzeit zu arbeiten und musste die Tage wieder neu planen. Dann kamen die ersten halbherzigen Lockdowns hierzulande, die vor allem auf dem Rücken der Kinder und Eltern ausgetragen wurden. On top die ersten handfesten Teenagerprobleme. Eine Konfirmation mitten in der Pandemie. Ein Jobwechsel des Gatten. Ein Abteilungswechsel von mir. Tanzschule. Eine Schuleinführung. Viele Termine bei Ärzten, Ämtern und Einrichtungen. Eine weitere Diagnose für unseren Sohn und die damit verbundene Aussicht auf noch mehr Termine. Die Suche nach einer geeigneten ergotherapeutischen und logopädischen Praxis. Es ist ein Hamsterrad. Das kennt ihr sicher. Du nimmst dir was vor… ne Stunde Sport, einen Wandteppich klöppeln, ne Pediküre oder einfach nur ein Mittagschläfchen. Und es klappt nicht. Ein Kind wird krank. Für eines musst du heute Fahrdienst spielen. Deine Mutter braucht deine Hilfe. Die Kinder streiten. Der Mann kommt später nach Hause. Und die Kinder streiten nochmal. Eine Tasse fällt runter. Eine Wand wird angemalt. Das Dach ist undicht. Im Keller steht plötzlich Wasser. Der Hund hat die gelbe Tonne umgekippt. Die Nachbarn machen Ärger. Die Hortensie geht ein. Deine Freundin versucht dich seit drei Wochen telefonisch zu erreichen und es klappt einfach nicht. Da stehen noch die Transportbehälter vom Caterer im Flur, die seit Montag zurückgebracht werden sollten. Und dein Sohn hat gerade mit einer Packung Teelichter die Fenster in seinem Zimmer angemalt und du weißt grad nicht wie du das sauber machen sollst, weil das Nudelwasser überkocht und die Jüngste ständig schreit, sie verhungere.

Irgendwas. Ist. Immer.

Wann nimmst du dir Zeit für dich? Nach der Arbeit und vor dem Kinder abholen, wenn die Wäsche weggeräumt werden müsste? Wenn du Anträge ausfüllst und Termine vereinbarst? Therapeuten oder Tanzschulen in deiner Nähe suchst? Darüber nachdenkst, was du heute Abend kochen wirst und dir dann aufgeht, dass du dafür noch einkaufen müsstest, bevor du die Kinder abholst? Wann? Wenn du Patchwork grad richtig zum kotzen findest? Wenn du alle Kinder abends endlich im Bett hast und vor Rückenschmerzen und Müdigkeit sterben könntest? Wenn der Kalender dich daran erinnert, dass heute noch ein Elternabend ansteht? Am Wochenende, wenn alle zu Hause sind und das Chaos seinen Höhepunkt erreicht? Ja, wann denn?

Ich hab festgestellt, dass es Sonntagnachmittags ganz gut aussieht. Wenn die Kinder grad ihre Zimmer zerlegen oder draußen lautstark die Nachbarschaft bespielen. Dann mahle ich mir Kaffee und schäume mir Milch auf, setze mich mit einem Stück Kuchen aufs Sofa und schaue den Vögeln auf dem Garagendach beim Balztanz zu. Kuchen ist nämlich auch Selfcare. Sag ich jetzt. Glaubt mir.

Ich könnte durchdrehen (durchdrehen)
Aber muss auf Kurs bleiben (Kurs bleiben)
Könnte mein Telefon durchbeißen (durchbeißen)
Ich wär gern in deiner Zeitzone, deiner Zeitzone, yeah


[Clueso: Flugmodus]

Photocredits: www.pexels.com

Ruhe.

Meine Ärztin schimpfte vor einiger Zeit mit mir, dass ich schon früher hätte kommen sollen, so eine stark vereiterte Angina hätte sie noch nie gesehen. Also gab es eine siebentägige Penicillinkur und Ruhe verordnet. Ruhe. Mit Kindern. Im Haus. Kennt ihr?

Ru·he

Rúhe/ Substantiv, feminin [die]

1a. [fast völlige] Stille; durch keine Geräusche o. Ä. gestörter Zustand
„eine wohltuende, friedliche Ruhe“

Ich fuhr mit den besten Absichten nach Hause. Als ich mir dort – zum gesund werden oder Nerven beruhigen (wer weiß das schon) – einen Tee kochte, nutzten die Zwillinge die Zeit, um im Klo zu spielen. Nicht im Bad, an der Toilette. In der Nähe davon. Nein, IM Klo. Mit den Armen drin und Wasserspritzern bis an die Decke. Lautstark protestierende Kinder duschen und das Bad sauber machen entspannen ungemein, müsst ihr wissen. Das muss diese Ruhe sein von der alle reden. Wenn du versuchst in einem heillosen Chaos klarzukommen, merkst du auch gar nicht wie stark das Halsweh ist und wie schlimm die Kopfschmerzen gegen die Schädeldecke hämmern. Krank sein mit Kindern ist unglaublich idyllisch. Licht und Liebe. Und Vogelgezwitscher.

Kurze Zeit später kämpften die jüngeren Schwestern um einen neuen Paw Patrol-Badeanzug. (Warum sich in diesem Haus nur ein Paw Patrol-Badeanzug befindet, entzieht sich meiner Kenntnis. So doof kann ja keiner bei mehr als einem Kind im Haushalt sein.) Die Jüngste verlor. Als Konsequenz schubste sie den unbeteiligten Bruder um. Ruhe potenziert. Um die Gemüter zu beruhigen, teilte ich Lollis aus. Der Frieden währte satte drei Minuten, schätzungsweise. Ein Lolli war offensichtlich bunter als der andere. Also wurde diese himmelschreiende Ungerechtigkeit erneut ausgekämpft. Die Jüngste verlor. Schon wieder. Zum zweiten Mal hintereinander. Und jetzt war ich schuld. Logisch. Das Kind war sauer auf mich und brüllte. Unterdessen tappste der Sieger zufrieden mit seiner Kriegsbeute davon, um kurz darauf mit einem Lolli im Haar schreiend wiederzukommen. Also Haare waschen – unter Quietschen und Kung Fu.

Richtig „leise“ wurde es, als ich den haarigen Lolli in den Müll warf. Wie konnte ich nur! Der war noch gut! Mama! Da sich jetzt zwei Kinder in einem nervlich völlig desolaten Zustand befanden, warfen sie sich gemeinsam jammernd auf mein Sofa, auf dem ich eigentlich liegen und gesunden sollte. Eine kleine Lady durchkreuzte singend im Badeanzug die Szenerie und den Kindern fiel unisono ein, was sie wollten: Paw Patrol gucken! Und plötzlich war… Ruhe! Kennt ihr?

Und der Tee, den ich mir gekocht hatte, war kalt.

Ru·he

Rúhe/ Substantiv, feminin [die]

1b. das Aufhören der Bewegung; Stillstand
“das Pendel ist, befindet sich in Ruhe. Stillstand“