Kniegelenkskaputtgeschichte again.

Teil 2 – Einmal Narkose bitte.

Über Nacht hat es geschneit. Warum? Ich darf nix trinken und versäume den ersten Kaffee des Tages. Aber heute ist es endlich soweit und ich hab leichte Panik. Auf dem Weg zur Unfallchirurgie schmerzt mein Knie, als wolle es mir sagen: „Zeit wird‘s!“ Hunger hab ich. Und Durst. Aber dieses Konzept nüchtern zur OP zu erscheinen, macht mir einen Strich durch die Rechnung. Dafür waren die Kinder schlecht drauf und haben gemault. Das war auch schön. Kann also nur besser werden.

Als ich dann kurz vor dem OP Zentrum warten muss und es einfach nur still ist, ist das das schönste Geräusch überhaupt. In Kürze schlafe ich einfach weiter und das macht den Tag – trotz latenter Skalpell-Panik – noch ein bisschen grandioser. Die MitarbeiterInnen helfen mir super durch den Check-In. Ich bekomme ein sehr hübsches OP-Hemd an und schwarze Thrombosestrümpfe. Das ist schon alles ganz stylish, muss ich zugeben. Im Vorbereitungsraum wird mir eine Flexüle gelegt, aber ich bekomme das alles gar nicht mit, weil ich währenddessen auf einem Großbildschirm eine Dokumentation über das Leben am Kongo sehen kann. Da die Schulter-OP vor mir etwas länger dauert, kann ich auch noch die Tierwelt entlang der Elbe bestaunen. Bevor die nächste Doku anläuft, bringt mich eine der OP-Schwestern dann aber rüber in den Operationssaal. Und jetzt ist hier Kirmes. Ich sag’s euch, mein Puls macht sich vor Aufregung selbstständig. Und langsam merke ich, dass es jetzt echt los geht. Mama wird operiert.

Ich bekomme eine Kehlkopfmaske übergestülpt und stelle mich selten blöd beim ein- und ausatmen an. Die Maske saugt sich ganz komisch fest und ich hab das Gefühl, dass da gar nix ankommt. Plötzlich riecht es nach einem 1a-Chemielabor beim einatmen, der Anästhesist sagt zur mir noch: „Schlafen Sie schön.“ – und ich denke so: „Ach guck, Ernie und Bert auf der OP-Haube.“ und weg bin ich. Als ich aufwache, werde ich in den nächsten schönen Raum geschoben, wo beruhigende Landschaftsaufnahmen in Dauerschleife laufen. Und ehe ich was sagen kann, werden mir Kaffee und ein Käsebrötchen serviert. Leute, daran könnte ich mich gewöhnen.

Ich verteile ganz selig Komplimente an alle, die hübsche OP-Hauben tragen und das ist hier so ziemlich jeder. Als der Chirurg zur Nachbesprechung kommt, mir erklärt, dass ich in zwei Tagen eine Bewegungsschiene nach Hause bekomme und in einer Woche die Physiotherapie beginnt, bin ich schon fast wieder richtig wach. Dann sagt er den kleinen, schönen Satz: „Ich hab‘s in Ordnung gebracht.“ Wisst ihr, was das nach jahrelangen Schmerzen bewirken kann? Dieser kurze Satz, der so viel Hoffnung auf Besserung macht? Wahnsinn. Wenn die Heilung jetzt gut klappt und ich wieder richtig Fuß fassen kann, dann bin ich mehr als glücklich. Wenn die Schmerzen im Knie weniger werden, die Hüfte nicht mehr durch die Schonstellung zu stark belastet wird und auch weniger schmerzt, dann wäre das alles ganz wunderbar. 

Ich habe die Schmerzen im Knie über Jahre ignoriert. Die gehörten halt dazu. Als ich mir dann aber im Sommer erst eine Bänderzerrung und dann den finalen Schuss ins Knie dank eines Legosteins zuzog und die Schmerzen sich übers Knie bis in die Hüfte verlagerten, meine Hausärztin mich wohlweislich an einen Unfallchirurgen überwies, der ein MRT anordnete, dann dicke Backen machte, als er das Ausmaß des Schadens auf den Aufnahmen sah und mir klipp und klar sagte, dass ich mit diesen Traumata im Gelenk eigentlich gar nicht mehr laufen können dürfte, wurde mir klar, was für einen Raubbau ich an meinem Körper veranstaltet habe. Über Jahre. Weil alles und jeder wichtiger war als ich. Und damit bin ich mit Sicherheit nicht allein. 

Sei mal ehrlich zu dir selbst: Du kümmerst dich um deine Kinder, deine Familie, deinen Job. Du arbeitest Wäsche und Einkäufe ab. Machst Hausaufgaben mit den Kindern. Gehst auf Elternabende und Versammlungen. Koordinierst Arzt- und Therapietermine. Räumst auf, kochst, machst den Abwasch und fängst von vorne an. Und wenn du dann noch versuchst deine Ehe instandzuhalten, ohne dass dir dabei irgendwie geholfen wird… aber ich schweife ab. Was ich sagen will: man verliert sich im Alltag. Man hat alles Blick, nur nicht sich selbst. Und das ist fatal. Das lerne ich gerade aus so vielen Dingen, die in den letzten Monaten passiert sind. Das begreife ich Stück für Stück. Und deshalb hab ich auch an vielen Stellen die Reißleine gezogen, weil ich mich sonst selbst verliere. Und dann bin ich auch keine gute Mutter mehr. Dann bin ich nur noch ein Scherbenhaufen. Die ersten heftigen Risse sind schon da, aber die kann ich vielleicht wieder kitten. Mal sehen.

Am Ende ist das hier gar nicht mal die Geschichte, eines kaputten Knies, sondern vom Erodieren der eigenen Gesundheit, weil man zu wenig Acht gibt auf sich selbst. Und das ist doch scheiße.

Ich weiß nicht mal, wann das passiert ist, dass mein Außenmeniskus zerfetzt wurde. Ich hab es nicht mitbekommen! Es muss schon länger her sein, denn durch einen losgelösten Muskellappen (das klingt so eklig), der sich zwischen die Knochen geschoben hat, hat sich der Knorpel im Kniegelenk in Wohlgefallen aufgelöst. Und das muss doch zu irgendeinem Zeitpunkt schmerzhaft gewesen sein, oder nicht? Und ich habe das nicht mitbekommen, weil ich zu beschäftigt war! Das Leben ist doch manchmal nicht zu fassen!

Wie dem auch sei (was ist das eigentlich für ein bescheuerter Satz!), ab morgen hänge ich mein Bein in eine Bewegungsschiene und das ist doch auch Sport. Womit wir wieder beim Abnehmen wären. Und damit verabschiede ich mich erstmal. Tschüss.

Kniegelenkskaputtgeschichte.

Teil 1 – Das Knie, der Bauch, Hurz.

Mit 18 Jahren bin ich beim Tanzen blöd mit dem Knie gefallen und hab mir einen Meniskusriss zugezogen. Nach einer Arthroskopie und einer halbherzigen Physiotherapie, konnte ich wieder laufen, war aber immer eingeschränkt mit dem rechten Bein. Das Knie konnte ich nie wieder anwinkeln wie vorher, geschweige denn mit beiden Beinen in die Hocke gehen. Unmöglich. Mit 41 Jahren dann bin ich bei der Gassirunde mit unserem Hund in einer Pfütze umgeknickt und hab mir den Knöchel gezerrt, rechts natürlich. Da fing das Knie auch wieder an zu schmerzen. Und zwei Monate später bin ich sagenhaft über einen Legostein gestürzt und hab mich scheinbar ganz formidabel erneut am Knie verletzt. Den Mordanschlag aus der Spielzeugkiste habe ich knapp überlebt, aber seither bin ich Stammgast in der Unfallchirurgie, lasse mich ins MRT schieben oder mein Knie mit Ultraschall durchleuchten. Seither führe ich Gespräche über künstliche Kniegelenke und minimal invasive Schadensbegrenzung, Gewichtsreduktion und Rehas. Seither muss ich mich mit dem Gedanken anfreunden, in Kürze erneut operiert zu werden. Ihr ahnt es: Ich hab echt Pech beim Gehen.

Und weil ich besser leide, wenn ich mein Leid teilen kann, erzähle ich einfach davon. Dann erzähle ich davon, dass der Chirurg vor einigen Wochen tief Luft holte, bevor er mir sagte, dass er in seiner ganzen Laufbahn noch nie ein so katastrophales Knie bei einer Vierzigjährigen gesehen hätte. Okay, ich bin 41, aber man nimmt die Komplimente in meinem Alter wie sie fallen. Und ich falle ja auch scheinbar echt gerne. Als er dann allerdings nachschob, dass ich mittelfristig 30kg abnehmen müsse, konnte ich ihn nicht mehr leiden.

Bin dann nach Hause, hab kurz geweint und die Chips entsorgt. Nicht in meinen Bauch, in die Tonne. Anstehende Operationen und damit verbundene Schmerzen legen ja völlig ungeahnte Motivationen frei. Die reichen ungefähr drei Wochen bis Heiligabend und dann frisst man (ich) sich drei Tage lang durch den Vorratsschrank. Was hab ich auch Lachsrolle und Pizzabrötchen gemacht. Wenn die schon mal da sind, muss ich die auch essen. Und die Oma hat Schokolade unter den Weihnachtsbaum gelegt, das Wochenlager vom Rewe zwei Orte weiter. Wenn die Süßigkeiten zu lange rumliegen, werden sie ja auch nur schlecht. Wäre schade drum. Ihr ahnt es: Ich hab auch Pech beim Verzicht auf Süßigkeiten.

Jetzt sind diese unseligen drei Tage Weihnachten aber vorbei und ich versuche wieder abzuspecken, denn die Arthroskopie rückt in greifbare Nähe. Acht Tage bis Lokalanästhesie.

Damit mir nicht langweilig wird, überlege ich derweil, wie ich denn ohne Sport abnehmen kann. Egal was mir einfällt, es belastet das Knie und ist verboten. Mit der Arzthelferin bin ich verschiedene Sportarten durchgegangen, bis sie nach einer Weile final beschloss: „In Ihrem Fall geht es nur mit FdH.“ Friss das Haus? Fütter die Hummeln? Finde deine Hängematte? Ja ja, ich weiß was das heißt. Aber echt mal. Ein halbes Raffaelo? Ein halber Hot Dog? Eine halbe Pizza? Das ist barbarisch. Und ja, ich weiß, machbar. Also faste ich ein bisschen herum, esse weniger Süßes und trinke mehr Tee.

Es gibt ja für jede Stimmung einen Tee, für jeden Tag, jede Handbewegung und jedes Wetter. Ich kenne sie alle und mag weniger als die Hälfte auch nur annähernd so gut, dass ich dafür das künstliche Aroma meines Bratapfel-Tees in der Schublade lassen würde. Immer wenn ich mir eine neue Tasse, Kanne, Gallone Bratapfel-Wasser aufsetze, freue ich mich über meinen neuen Fetisch und plane schon mal die nächsten eins bis vierundsiebzig Toilettengänge ein. Hab nämlich auch noch Brennesseltee da und der entwässert so schön. Hat Oma schon gewusst. Abnehmen ist so spaßig, ich fang schon wieder an Porridge zu kochen und Gemüse für gesund Suppen zu schneiden. Könnt ich den ganzen Tag machen. Und dann hab ich solange gekocht, dass ich nicht so viel essen kann wie ich möchte, weil das Fastenintervall schon wieder anfängt und als alter Streber will ich das natürlich durchziehen, weil ich mich dann über mich selbst freue. Noch jemand so leicht zu erheitern wie ich?

Also: wenn ich mich lange genug darüber aufrege, dass ich weniger essen darf, ständig Tee trinke und in Korrelation dazu auch ständig zur Toilette muss, aufwendige Gerichte koche, die mich stundenlang beschäftigen und ab 20 Uhr freudig erregt auf dem Sofa sitze, weil ich jetzt offiziell nix mehr essen darf, damit das Fasten auch gelingt, dann nehme ich ab. Oder so. 

(Geht demnächst weiter. Ich muss erst was essen.)

Legosteine.

Ich erhalte öfter Nachrichten, dass der oder die eine oder andere gerne bei uns mal Mäuschen spielen würde. Um Himmels Willen! Nein! Ihr brecht euch sämtliche Knochen! Ihr klebt am Laminat fest oder rutscht aus. Häuser, in den kleine Kinder leben, sind mörderische Fallen. Nicht für die Kinder. Für die Eltern. Ausgebildete Agenten wären binnen fünf Minuten außer Gefecht gesetzt. Bleibt also mal schön in euren sicheren Wohnungen und Häusern.

Es ist wirklich nicht ohne, sich einen Haushalt mit Nachwuchs zu teilen. Das ist nicht ungefährlich. Es ist laut, bunt, unordentlich, voller Liebe, voller Streit und Missverständnissen. Voller Lachen und Weinen, Gummibärchen und Spaghetti. Es ist jeden Tag aufs Neue eine Büchse der Pandora, die irgendjemand schon vor dem ersten Kaffee öffnet.

Eines hat jeder Tag mit den anderen gemein: du wirst niemals das Chaos beherrschen. Es beherrscht dich. Für immer. Die pastellfarbenen, pampasgrasdekorierten Instagramwelten, in denen Mütter in klinisch sauberen, glänzenden Küchen Muffins und vierstöckige Torten backen und auf Tischen mit Platzsets aus Leinen anrichten, sind Träume! Das wird niemals passieren. Vergiss es einfach! Denn spätestens wenn du die Muffins zum Tisch bringen willst, fliegt unter lautem Gebrüll eine Actionfigur durchs Esszimmer und reißt dein Gebäck mit ins Verderben. Been there. Done that.

Egal wie oft du selbst Spielzeug wegräumst oder deine Kinder anhältst das zu tun, es bleibt immer Spielzeug liegen. Immer. Und das kann so unglaublich gefährlich werden. Gut, ich verneige ich mich inzwischen auch vor der Korrelation steigendes Elternalter zu Spielzeugunfällen. Aber ich bin sicherlich nicht die einzige Mutter auf der Welt, die dank des Spieltriebs ihrer Kinder zur Invalidin wird.

Ich habe meinen Mann schon häufig in der Küche oder dem Esszimmer semi-elegant grätschen sehen, wenn er kleine, feine Pfützen Wasser übersehen hat, die die Kinder durchs Haus haben tropfen lassen, weil sie im Kinderzimmer heimlich eine Strandbar für die Barbies eröffnet hatten. Spagat hat er inzwischen drauf. Fluchen und davon humpeln auch. Das können wir beide inzwischen gut. Aber nach fast zwei Jahrzehnten gemeinsamer Elternschaft ist das auch der geringste Anspruch, den ich an uns stelle. Fluchen mindert zwar die Unfallgefahr nicht. Es hilft allerdings Schmerzen zu veratmen. Ich schwöre.

Jeder und jede kennt den Schmerz, den Legosteine und Barbieschuhe verursachen, wenn man nachts barfuß drauf tritt. Wenn du innerlich schreist, um niemanden zu wecken, dir ein Tränchen aus dem Auge kullert. Das wird an sich ja nur noch getoppt, wenn du in der sicheren Dunkelheit deines Zuhauses auf eine Reißzwecke trittst. Das ist schön!

Wenn die drei kleinen Chaoten hier in ihren Zimmern wieder „The Day After Tomorrow“ oder „Armageddon“ gespielt haben, schiebe ich mir vor Einbruch der Nacht gerne eine Schneise durch das Bodendekor, um halt nicht schmerzhaft überrascht zu werden.

Blöd wird es aber, wenn deine Kinder in der Küche auf der einzigen Treppenstufe dort mit LEGOSTEINEN spielen und du mit einem Korb voller Wäsche um die Ecke kommst, diesen verfluchten gelben Stein nicht siehst und den Sturz deines Lebens hinlegst. Ich habe einen Salto geschlagen, sagt die Überlieferung. Ich habe Sterne gesehen. Und das dienstälteste Kind hat erstmal erschrocken nach offenen Brüchen an meinen Beinen gesucht, nachdem ich mich weinend und schreiend und leicht benommen wieder auseinandergepuzzelt hatte. Ich hatte meinen Meniskusfraktur seit Jahrzehnten gut im Griff. Jetzt warte ich die nächsten vier Wochen auf einen MRT-Termin, der das Ausmaß der neuerlichen Katastrophe ans Licht bringen soll, und hinke derweil übelgelaunt wie ein Pirat durch die Welt. Kennt man ja.

Wisst ihr, was mein kleiner, süßer Sohn in der Zwischenzeit macht? Er läuft vor mir her und streut wie ein Engel Legosteine aufs Parkett!

SelfCare. Haha.

Lasst uns mal über Selfcare reden. Selbstliebe bei Müttern. Sich kümmern. Um sich selbst. Den Körper, das Wohlbefinden, den Geist, die Seele. Das ganze stramm gestresste Paket. Und dabei wären wir ja schon beim Kern des Problems. Bei mir. Nehmen wir doch einfach mal mich als Beispiel. Das wird gut. Ich versprech’s.

Ich bin tatsächlich zu blöd, mich um mich selbst zu kümmern. Kann’s nicht. Hab keine Zeit. Irgendwas ist immer. Ach guck, schon so spät. Kümmer du dich doch!

Ich führe öfters solche Streitgespräche mit mir selbst. Beim Kochen oder Wäsche zusammenlegen. Wäsche falten ist ja mein Wellness. Ich war noch nie in einem Wellness Hotel, wüsste gar nicht, wie ich mich da verhalten muss. Meine Gedanken springen. Immerzu. Das ist ja auch irgendwie Sport. Und Sport ist Selfcare. Ihr seht, das hier könnte chaotisch werden. Also sortiere ich mich mal.

Mein Mann hat mir vor nicht allzu langer Zeit vorgeworfen, ich sei der einzige Mensch, den er kenne, der sich um alle anderen kümmert. Dann kam noch irgendeine Beschwerde, ich würde mich nie um ihn kümmern, aber das kann nicht sein, er lebt ja noch. Ich habe ihm dann entgegnet, alle anderen sind unsere Kinder und an dem Umstand sei er ja nun auch nicht unschuldig. Setzen wir da an.

Mir ist tatsächlich erst jetzt aufgefallen, dass mit jedem weiteren Kind die Zeit schneller rennt. Die Tage fließen ineinander über. Arzttermine und Elternabende wechseln sich ab mit Arbeit, Haushalt, Tomatenflecken und Mülltonnen vor die Tür stellen. Es gab eine Phase während meiner letzten Elternzeit, nachdem ich die Zwillinge entbunden hatte, in der ich wirklich Zeit hatte. Wenn die Babys schliefen, wenn der Haushalt ruhte. In der Zeit fing ich an Sport zu machen und stellte fest, dass mir das gut tut. Richtig gut. Am Ende bin ich Halbmarathon gelaufen und war in der Form meines Lebens. Da hat halt auch alles ineinander gegriffen: Schule, Kindergarten, Elternzeit. Die Familie lief „rund“ und ich konnte mir Zeit für mich nehmen. Und dann: Peng! Diagnose „Diabetes mellitus Typ 1“ bei meinem damals zwei Jahre alten Sohn.

Das hat einfach alles durcheinander gewirbelt. Das hat die Prioritäten nochmal neu verschoben und die täglichen Routinen außer Kraft gesetzt. Und so ist es geblieben. Ich fing wieder an in Teilzeit zu arbeiten und musste die Tage wieder neu planen. Dann kamen die ersten halbherzigen Lockdowns hierzulande, die vor allem auf dem Rücken der Kinder und Eltern ausgetragen wurden. On top die ersten handfesten Teenagerprobleme. Eine Konfirmation mitten in der Pandemie. Ein Jobwechsel des Gatten. Ein Abteilungswechsel von mir. Tanzschule. Eine Schuleinführung. Viele Termine bei Ärzten, Ämtern und Einrichtungen. Eine weitere Diagnose für unseren Sohn und die damit verbundene Aussicht auf noch mehr Termine. Die Suche nach einer geeigneten ergotherapeutischen und logopädischen Praxis. Es ist ein Hamsterrad. Das kennt ihr sicher. Du nimmst dir was vor… ne Stunde Sport, einen Wandteppich klöppeln, ne Pediküre oder einfach nur ein Mittagschläfchen. Und es klappt nicht. Ein Kind wird krank. Für eines musst du heute Fahrdienst spielen. Deine Mutter braucht deine Hilfe. Die Kinder streiten. Der Mann kommt später nach Hause. Und die Kinder streiten nochmal. Eine Tasse fällt runter. Eine Wand wird angemalt. Das Dach ist undicht. Im Keller steht plötzlich Wasser. Der Hund hat die gelbe Tonne umgekippt. Die Nachbarn machen Ärger. Die Hortensie geht ein. Deine Freundin versucht dich seit drei Wochen telefonisch zu erreichen und es klappt einfach nicht. Da stehen noch die Transportbehälter vom Caterer im Flur, die seit Montag zurückgebracht werden sollten. Und dein Sohn hat gerade mit einer Packung Teelichter die Fenster in seinem Zimmer angemalt und du weißt grad nicht wie du das sauber machen sollst, weil das Nudelwasser überkocht und die Jüngste ständig schreit, sie verhungere.

Irgendwas. Ist. Immer.

Wann nimmst du dir Zeit für dich? Nach der Arbeit und vor dem Kinder abholen, wenn die Wäsche weggeräumt werden müsste? Wenn du Anträge ausfüllst und Termine vereinbarst? Therapeuten oder Tanzschulen in deiner Nähe suchst? Darüber nachdenkst, was du heute Abend kochen wirst und dir dann aufgeht, dass du dafür noch einkaufen müsstest, bevor du die Kinder abholst? Wann? Wenn du Patchwork grad richtig zum kotzen findest? Wenn du alle Kinder abends endlich im Bett hast und vor Rückenschmerzen und Müdigkeit sterben könntest? Wenn der Kalender dich daran erinnert, dass heute noch ein Elternabend ansteht? Am Wochenende, wenn alle zu Hause sind und das Chaos seinen Höhepunkt erreicht? Ja, wann denn?

Ich hab festgestellt, dass es Sonntagnachmittags ganz gut aussieht. Wenn die Kinder grad ihre Zimmer zerlegen oder draußen lautstark die Nachbarschaft bespielen. Dann mahle ich mir Kaffee und schäume mir Milch auf, setze mich mit einem Stück Kuchen aufs Sofa und schaue den Vögeln auf dem Garagendach beim Balztanz zu. Kuchen ist nämlich auch Selfcare. Sag ich jetzt. Glaubt mir.

Ich könnte durchdrehen (durchdrehen)
Aber muss auf Kurs bleiben (Kurs bleiben)
Könnte mein Telefon durchbeißen (durchbeißen)
Ich wär gern in deiner Zeitzone, deiner Zeitzone, yeah


[Clueso: Flugmodus]

Photocredits: www.pexels.com

Ruhe.

Meine Ärztin schimpfte vor einiger Zeit mit mir, dass ich schon früher hätte kommen sollen, so eine stark vereiterte Angina hätte sie noch nie gesehen. Also gab es eine siebentägige Penicillinkur und Ruhe verordnet. Ruhe. Mit Kindern. Im Haus. Kennt ihr?

Ru·he

Rúhe/ Substantiv, feminin [die]

1a. [fast völlige] Stille; durch keine Geräusche o. Ä. gestörter Zustand
„eine wohltuende, friedliche Ruhe“

Ich fuhr mit den besten Absichten nach Hause. Als ich mir dort – zum gesund werden oder Nerven beruhigen (wer weiß das schon) – einen Tee kochte, nutzten die Zwillinge die Zeit, um im Klo zu spielen. Nicht im Bad, an der Toilette. In der Nähe davon. Nein, IM Klo. Mit den Armen drin und Wasserspritzern bis an die Decke. Lautstark protestierende Kinder duschen und das Bad sauber machen entspannen ungemein, müsst ihr wissen. Das muss diese Ruhe sein von der alle reden. Wenn du versuchst in einem heillosen Chaos klarzukommen, merkst du auch gar nicht wie stark das Halsweh ist und wie schlimm die Kopfschmerzen gegen die Schädeldecke hämmern. Krank sein mit Kindern ist unglaublich idyllisch. Licht und Liebe. Und Vogelgezwitscher.

Kurze Zeit später kämpften die jüngeren Schwestern um einen neuen Paw Patrol-Badeanzug. (Warum sich in diesem Haus nur ein Paw Patrol-Badeanzug befindet, entzieht sich meiner Kenntnis. So doof kann ja keiner bei mehr als einem Kind im Haushalt sein.) Die Jüngste verlor. Als Konsequenz schubste sie den unbeteiligten Bruder um. Ruhe potenziert. Um die Gemüter zu beruhigen, teilte ich Lollis aus. Der Frieden währte satte drei Minuten, schätzungsweise. Ein Lolli war offensichtlich bunter als der andere. Also wurde diese himmelschreiende Ungerechtigkeit erneut ausgekämpft. Die Jüngste verlor. Schon wieder. Zum zweiten Mal hintereinander. Und jetzt war ich schuld. Logisch. Das Kind war sauer auf mich und brüllte. Unterdessen tappste der Sieger zufrieden mit seiner Kriegsbeute davon, um kurz darauf mit einem Lolli im Haar schreiend wiederzukommen. Also Haare waschen – unter Quietschen und Kung Fu.

Richtig „leise“ wurde es, als ich den haarigen Lolli in den Müll warf. Wie konnte ich nur! Der war noch gut! Mama! Da sich jetzt zwei Kinder in einem nervlich völlig desolaten Zustand befanden, warfen sie sich gemeinsam jammernd auf mein Sofa, auf dem ich eigentlich liegen und gesunden sollte. Eine kleine Lady durchkreuzte singend im Badeanzug die Szenerie und den Kindern fiel unisono ein, was sie wollten: Paw Patrol gucken! Und plötzlich war… Ruhe! Kennt ihr?

Und der Tee, den ich mir gekocht hatte, war kalt.

Ru·he

Rúhe/ Substantiv, feminin [die]

1b. das Aufhören der Bewegung; Stillstand
“das Pendel ist, befindet sich in Ruhe. Stillstand“

Familienausflug. Warum.

Eigentlich, ja eigentlich, sollten wir es nach fast zwei Jahrzehnten Elternschaft besser wissen. Aber manchmal rennt man halt lachend und mit Schwung in eine Kreissäge. Oder plant einen Ausflug zum Freizeitpark mit den Kindern. Soll ja ein Spaß für die ganze Familie sein. Ist es aber nicht. Und ich erklär euch auch gerne weshalb. Jetzt.

In diesem Jahr kamen wegen unserem neuen besten Freund Corona (ach ehrlich, fick dich doch!) und dem Arbeitsplatzwechsel meines Mannes mitten im Sommer keine Familienferien infrage. Wir haben uns stattdessen gedacht, Tagesausflüge mit den Kindern sind doch auch ganz schön, haben uns auf die Schultern geklopft und zufrieden Chips gefressen… und hatten keine Ahnung wie doof wir doch sind.

Nach dem wir in den letzten Jahren schon im Freizeitpark Plohn und im Freizeit-Land Geiselwind mit den Kindern waren und es dort unglaublich viele Attraktionen für die Kleinen und Kleinsten gibt, wir uns dort richtig schön ausgepowert haben und Spaß hatten, dachten wir uns: „Ach komm, noch ne Runde! Das wird toll. Dieses Mal Belantis!“ Himmel, Arsch und Zwirn, wir sind echt nicht mehr zu retten. Zunächst einmal kaufst du Tickets für zwei Erwachsene und drei Kinder, die echt teuer sind. Dann planst du die Route. Kaufst Snacks und Getränke, packst die Rucksäcke, schmierst Brote und schneidest Äpfel. Packst Gesichtsmasken ein, Wechselkleidung und Kotztüten.

Bisschen lernfähig bin ich ja doch. Da unserer Jüngsten pünktlich bei Kilometer 10 schlecht wird und sie zum ersten Mal erbricht – auf sich, ihre Geschwister, die Kindersitze – habe ich in diesem Jahr Kotztüten gekauft und ins Auto gepackt. Konnte ja keiner damit rechnen, dass dann alle drei hinten im Auto mit den Köpfen über den Kotztüten sitzen und freudig darauf warten, dass sie losbrechen können. Nach fünfzig Kilometern haben wir dann zum ersten Mal die Tüten ausgetauscht. Begleitet vom lautstarken Lamento, wann wir denn endlich ankommen würden. Und überhaupt bin ich eine Kackamama, weil ich keine Chips eingepackt habe und überhaupt, jetzt ist dem Kind schlecht. Und da bist du noch gar nicht am Ziel angekommen und schon reif für die Insel.

Der nächste Supergau wartet dann am Parkeingang selbst, wir sind zehn Minuten zu früh dran, das Maskottchen hat die Parktore noch gar nicht geöffnet und wir stehen am Haupteingang und warten neben – ja, genau – dem Souvenirshop des Parks und alle drei Kinder wollen jetzt unbedingt eine Harry Potter-Puppe. Warum verkaufen die da Harry Potter-Kram? Der Zaubertyp kommt im gesamten Park nicht einmal vor. Warum machen die sowas? Hassen die Eltern?

Bevor der Marder, der Biber, was weiß ich, den Park feierlich mit Fanfaren öffnen und das große Schloss am Tor aufschließen konnte, haben sich unsere Kinder, wie kann es auch anders sein, am Schloss zu schaffen gemacht und es geknackt. Aufgeregte Parkmitarbeiter incoming! Schön, schön.

Wusstet ihr, dass man einen ganzen Tag stehend und wartend vor einem kleinen, langsamen Kinderkarussell verbringen kann? Hinter dir die Bimmelbahn, auf dem ein Kind ständig schreit „Stopp! Ich bin weit genug gefahren!“. Gegenüber das Baby-Kettenkarussell, das einsam seine Runden dreht, weil alle auf die Ponys am – richtig – Kinderkarussell wollen vor dem wir gefühlt 34 Jahre warten, bis der Park schließt oder zu Staub zerfällt. Zwischen den einzelnen Themenwelten strategisch günstig Spielbuden aufgebaut, an denen man grotesk große, hässliche Kuscheltiere gewinnen kann… Freizeitparkbetreiber hassen Eltern, oder? Oder?! Und rund um diese Spielbuden lautstarkes Gequengel, dass man jetzt auf der Stelle so ein Kuscheltier gewinnen muss. Und nein. Ach guck, Pommes! Dann die! Oh, ein Kind muss aufs Klo. Okay. Suchste eine Toilette. Bist fertig. Muss das nächste Kind dringend Pipi. Wenn du dir also nicht gerade vor einem Karussell die Beine in den Bauch stehst, wartest du vor einer Toilette auf dein Kind. Oder feuerst es an, wenn es auf der Kinder-Achterbahn mit 20cm/h Fahrt aufnimmt. Dazwischen sagst du „Nein.“ Dann stehst du wieder für Pommes an. Und wenn du Glück hast, ist die nächste Attraktion wieder erst ab 1,40m Körperhöhe zugelassen und du drehst wieder um zum Karussell. In ein paar Jahren und schätzungsweise 20cm Wachstum nehmen wir den nächsten Anlauf, dann lohnt sich das. Der Nervenaufriss, das Eintrittsgeld, die Anfahrt. Die Kotztüten. Dann sind die in der Zahnspangenpubertät und dann wird es gleich nochmal lustiger.

Was ich damit eigentlich sagen will: guckt vorher genauer nach, ob der Park auch was für kleinere Kinder ist, sonst guckt ihr halt einen Tag zu wie sich Ponys im Kreis drehen. Irgendwann lernen wir das auch noch.

Ich schnippel dann auch kein Obst mehr oder schmier Brote, die habe ich abends zu Hause wieder ausgepackt. Waren wie neu. Bisschen durchgezogen und geruchsintensiv. Aber die Bifi Rolls und die Gummibärchen waren alle. Vorbildlich!

P.S. Was ich euch aber uneingeschränkt empfehlen kann: Freizeit- und Erholungspark Possen. Für 7 Euro, können eure Kindern den ganzen Tag auf einer riesigen Hüpfburgenlandschaft herumspringen. Dort gibt es ein Tiergehege mit Braunbären, Rehen, Wildschweinen und den hier bekanntermaßen beheimateten Geparden. Es gibt einen Indoorspielplatz, Puppentheater und einen Streichelzoo. Es gibt einen Kletterwald für Große und einen für Kleine (beide gebührenpflichtig). Man kann dort Natur erleben und auf den Possenturm hochsteigen. Nach dem Freizeitpark Belantis haben wir die drei Kleinsten hoch auf den Possen gekarrt, Bänder für die Hüpfburgen gekauft, uns einen Kaffee geholt und uns die Sonne auf den Pelz scheinen lassen. Das war schlau.

Fotos: www.pexels.com

Sonntag

Gestern Nachmittag schrieb mir eine Kollegin, ich solle das Wochenende genießen und mich entspannen . Hab ganz liebenswert gelogen und „Mach ich!“ geantwortet. Warum? Weil es scheinbar Common Sense ist, dass Mama sich zwischen dreckigem Geschirr, Krümeln unterm Sofa und Wäschebergen an den Wochenenden wunderbar entspannen kann. Eine kleine Wutrede:

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Wir haben Corona

Alles einsteigen! Einmal Eintrittskarte lösen für SARS-CoV-2! Hatten wir nicht vor, hat aber leider geklappt. Hier kommt unser kleines Corona-Tagebuch. Mit freundlichen Grüßen aus übertragungsfreien Räumen wie Kindergärten, denn die Ansteckungen finden ja bekanntermaßen vorrangig im privaten Umfeld statt. Und wer erkannt hat, dass das jetzt sarkastisch gemeint war, ist hier genau richtig. Geht los.

Am Tag meines Impftermins fühlte ich mich nicht wirklich wohl und dachte mir, dass es ganz nett sei, einen Schnelltest zu machen, bevor ich ins Impfzentrum fahren würde. Nach dem relativ erschütternden Schnelltest hab ich dann einfach mal den Termin abgesagt und die Kinder durchgetestet. Wenige Tage zuvor wurden die drei Kindergartenkinder vom Gesundheitsamt in Quarantäne gesteckt, weil es in ihrer Gruppe ein positiv getestetes Kind gab. Da wir gerne mal was gewinnen, hat mein Sohn den Jackpot abgeräumt und sich das Coronavirus gesichert. Das zeigte uns das Ergebnis seines PCR-Tests zwei Tage später.

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Katastase

Du willst deine Augen nie wieder öffnen. Durch deine geschlossenen Lider schimmert das Tageslicht sanft hindurch. Zahllose, winzige Lichter flackern wild auf. Deine Netzhaut scheint zu explodieren. Das Pochen in dir wird lauter, dröhnender, schwillt an und lässt deinen gesamten Körper beben. Das Kribbeln in deinem Bauch entfaltet seinen ganzen Wahnsinn. Die Spannung ängstigt und begeistert dich zugleich, scheint dich zu zerreißen… doch du möchtest in diesem einen, vollkommenen Moment gefangen bleiben. Deine Synapsen knallen.

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Entspann dich doch mal.

Es gibt nach 40 Jahren in diesem Leben nicht mehr viele Dinge, die mich entspannen können. Seit 16 Jahren heiße ich nur noch Mama. Und seit ebenso vielen Jahren bin ich unterschwellig völlig unentspannt, weil ich an tausend Dinge gleichzeitig denken muss und gar nicht mehr weiß, wie man sein Hirn einfach mal runterfährt. Leere im Kopf muss schön sein.

Hab’s mit Wein versucht. Hilft nicht. Hab’s mit Zigaretten versucht, stinkt bloß. Hab’s mit Joggen versucht. Leute! Man riecht am Ende nach plattgewalztem Aas am Straßenrand. Hab’s mit Lesen versucht. Wenn dir dreimal das verdammte Buch auf die Nase gefallen ist, hast du da auch keinen Bock mehr. Am Zeichentisch sitzen ist auch nur bedingt erholsam, weil in der Zwischenzeit die drei Kleinsten wie ein Heuschreckenschwarm durch das Haus ziehen und eine Spur der Verwüstung hinterlassen. Es ist nicht einfach. Ehrlich. Selbst Nervennahrung entspannt nicht mehr, weil da immer drei kleine Kröten vor mir stehen und auch was haben wollen. Und da ich das Schokolade und Chips essen deshalb auf die Zeit gelegt habe, in der die Kinder wirklich, wirklich schlafen und das Rascheln der Chipstüte nicht mehr hören, futtere ich zu spät und zu viel und habe mir einen hübschen Rettungsring um die Hüfte zugelegt. Polstert gut. Lässt aber Jeans platzen. Naja.

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