_1st_ Diaversary

Der März ist ein ganz besonderer Monat. Ein warmer Frühlingshauch liegt in der Luft. Frisches Grün bricht sich auf Wiesen und Feldern bahn. Die ersten zarten Blüten lassen sich blicken. Und für uns ist es der Monat, in dem sich bei meinem kleinen Sohn Diabetes mellitus Typ 1 manifestierte. Und ich damals nicht wusste, ob wir das schaffen würden.

Vor einem Jahr ging ich mit einer ganz blöden Vorahnung zum Kinderarzt und heute ist es unser Alltag: Blutzucker messen, Kohlehydrate ausrechnen, Insulinfaktoren bestimmen, Spritzen setzen. Wenn ich an den Schock denke, den uns der 08. März 2019 eingebracht hat und überlege wie gelassen wir heute mit der Diagnose umgehen und leben, dann bin ich schon ein kleines bisschen stolz.

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Hi, Diabetes.

Ruhig war es hier in den letzten Tagen und Wochen. Schuld daran war und ist eine große Unruhe in unserem Leben. Unser kleiner Sohn (2) hat vor einigen Tagen die Diagnose „Diabetes mellitus Typ 1“ erhalten und damit hat sich einfach alles verändert. Für den Moment. Denn alsbald wollen wir seine Autoimmunerkrankung in den Alltag integriert haben, damit er ein möglichst normales Leben führen kann. Mit Diabetes.

Bis dahin ist es aber noch ein langer Weg und ich – als Mama mit auf der Station in der Kinderklinik – muss viel lernen, beobachten und verstehen. Und das ist bei einem kleinen Wutbällchen wie unserem Neo nicht immer einfach. Der Papa kämpft sich zu Hause durch den Alltag mit vier Kindern, Arbeit und Haushalt und ich halte die Stellung in der Klinik. Was mir irgendwie seltsam ungerecht erscheint, denn ich habe jetzt nur das eine kleine Kind mit der großen Diagnose und er hat die Wucht des Alltags zu stemmen. Das war doch bisher mein Hochleistungssport und nicht seiner. Er war der, der arbeiten geht und ich die Mama, in Elternzeit, die regelmäßig zwischen Kindergarten, Waschmaschine, Trotzanfall und Hausaufgabenhilfe absäuft. Plötzlich und ohne Vorwarnung sind die Rollen neu verteilt. Ich drücke nochmal die Schulbank und Papa zu Hause die Knöpfe der Waschmaschine.

Immer wenn ich gefragt werde, wie wir darauf gekommen sind, dass Neo Diabetes haben könnte, komme ich nicht umhin zu sagen: „Fernsehen bildet. Ich hab bei Grey’s Anatomy aufgepasst.“ Ohne Scheiß, mir fiel ein, dass sehr, sehr viel trinken auf Diabetes hinweisen kann. Er trank in den Tagen vor der Diagnosestellung unfassbar viel. Wenn er eine Flasche leer hatte, schrie er nach der nächsten. War schlapp, apathisch, schlief viel. Pullerte ohne Pause. All das zusammen war sehr erschreckend anzusehen und mitzuerleben. Die Erzieherinnen seiner KiTa sagten auch, dass das nicht mehr „ihr Neo“ sei – also gingen wir zur Kinderärztin, die meine Sorgen nicht abtat, sondern für den nächsten Tag einen Urintest anberaumte. Kurz nach dem Test waren wir auch schon auf dem Weg ins erste Krankenhaus des Tages, wo die Diagnose bestätigt wurde und wir gleich in die Kinderklinik verlegt wurden. Völlig von der Rolle und komplett von den Tatsachen überfahren. Das alles lief wie ein seltsamer Film ab und ich brauchte zwei Tage, um zu begreifen, was da eigentlich los war. Und unser ganzes Leben lang los sein wird. Neo weiß das noch gar nicht, er weiß nur, dass alles um ihn herum „Piep“ macht und es immerfort piekt.

Seit einer Woche messe ich regelmäßig den Blutzucker meines kleinen Sohnes, berechne KHE und Insulineinheiten, spritze ihn und halte seine Wutanfälle aus, wenn er noch nicht essen darf, weil der Blutzucker zu hoch ist. Zu Hause läuft derweil die geordnete Kernschmelze ab und der blöde Wackelpudding setzt sich seit einer Woche in den Fugen des Laminats unterm Esszimmertisch fest. Aber hey, Ausnahmesituationen erfordern Wackelpudding und starke Nerven. Oder halt Gurke und Wienerchen.

Ich google „Dreisatz für Dummies“ und mein Mann und ich sprechen uns über WhatsApp Mut zu. Der Mops und ich sagen nach jeder Insulinspitze einen kleinen Reim auf, bis die Spritze aus dem Bauch kann. Wir warten am Fenster auf den Abschleppwagen, der mit regelmäßiger Schönheit Falschparker auflädt vor der Geburtsstation. Besser als Kino. So ein kleiner (selbstausgelöster) Feueralarm kann auch den Sonntagmorgen versüßen. Alle rennen einmal hektisch herum. Der Mops guckt in die Luft und ich weiß nicht, ob ich lachen oder weinen soll, weil es – natürlich – mein Kind war, der auf Zehenspitzen an den Alarmknopf gekommen ist, während ich das Blutzuckermessgerät aus dem Zimmer geholt hab.

Wusstet ihr übrigens, dass so ein Krankenzimmer schlagartig überfüllt sein kann, wenn vier Kinder und ein Papa, den kranken Mops besuchen wollen? Wusstet ihr, dass man einen Videochat besser doch nicht mit Kleinkindern führt, die ihre Mama vermissen, weil die Mäuse dann das Display von Papas Handy vollschnoddern und gar nicht verstehen können, warum die Mama da nicht rauskrabbeln kann? Gurken kann man übrigens auch nicht durchs Telefon übermitteln. Sehr ärgerlich. Und die Auswahl an Kinderzeitschriften mit überteuertem, aber grandios nutzlosem Plunder ist auch sehr übersichtlich, wenn man dreimal täglich im Krankenhausshop Halt macht auf der Suche nach Ablenkung. Zumindest die automatischen Warentransporter und die Fahrstühle machen hübsch „Piep“ – da kann man es eine Weile aushalten. Stay tuned.

P.S. Freies Krankenhaus-WLAN!

P.P.S. Wein wär aber auch nicht schlecht.