Kniegelenkskaputtgeschichte – nevermind.

Teil 4 – Anwinkeln, Strecken.

Wie viele Kalorien verbrennt man eigentlich auf der Bewegungsschiene? Lohnt sich das überhaupt als Ausdauersport zum Abnehmen? Und zählt Geschenke einpacken als Krafttraining? Ist der schleppende Gang zum Kühlschrank Kurzstrecke oder Langstrecke? Mach ich da was für meine Kondition? Wie zählen die Schritte, wenn ich mit Gehhilfen rumstochere? Und zählen die Schritte überhaupt, wenn ich keinen Schrittzähler trage? Warum geht die Sonne so schnell auf und so schnell unter und was hab ich währenddessen getan? Bin ich wieder ein Stück weit genesen? Und warum stelle ich so viele Fragen?

Mein Alltag ist derzeit sehr einfach und sehr strukturiert. Ich fühle mich wie ein dickes, glückliches Faultier. Die größte Herausforderung des Tages ist meine Thrombosespritze am Morgen. Die angele ich mir vom Kleiderschrank, dann seh ich sie ehrfürchtig an und begutachte anschließend die schöne Rolle Speck unterm Bauchnabel und überlege wo ich heute zusteche. Wie eine fiese Mücke. Wenn ich das geschafft habe, brauche ich erstmal eine Pause. Dann überlege ich wie ich an eine Tasse Kaffee kommen könnte. Die Zubereitung ist nicht das Problem. Ich hab inzwischen ein starkes linkes Standbein. Aber wie transportiere ich die Tasse ohne Schäden zum Bett? Oder überhaupt zwei Schritte weit, ohne den Boden in Arabica einzufärben? Jetzt beim Schreiben fällt mir auf, dass ich dafür ja meinen auslaufsicheren Thermobecher nutzen könnte! Ich bin so schlau. Nach tagelangem Grübeln fällt mir eine Lösung ein. Man sollte mich in Krisenstäbe berufen, ich wäre die ideale Besetzung.

Die erste sportliche Großleistung des Tages ist das Aufstellen der Bewegungsschiene und die erste halbe Stunde Anwinkeln, Strecken, Anwinkeln, Strecken. Ich träume inzwischen davon. Es hat aber auch etwas seltsam Entspannendes, das Bein dort hinein zulegen und zuzusehen wie es sich ohne mein Zutun stetig bewegt. Schöne Sache. Wenn ich es im Anschluss dann noch geschafft habe, ohne Komplikationen auf den Duschhocker zu plumpsen und das Wasser aufzudrehen, bin ich ein sehr glückliches, altes Mädchen. Aber der eigentlich Kick kommt noch, wenn ich wieder aus der Dusche heraus will. Die ist nicht ebenerdig – und sagen wir mal so, die Beschreibung weiter Teile meiner Vorgehensweise beim Verlassen der Dusche, würden euch alle nur verunsichern, also lassen wir das.

Danach könnte ich ein, zwei Tafeln Schokolade essen, aber der Weg zum Schrank im Esszimmer ist mir zu weit. Krasse Diätstrategie. Also such ich mir einen Zombie- oder Pandemiefilm heraus (alles das gleiche) und beruhige mein Gemüt. Währenddessen denke ich an Schokolade. Das Leben ist schön. 

Ab einem gewissen Zeitpunkt ist der Hunger aber schon nervig und ich Fuchs hänge mir einen Stoffbeutel um und wackele damit Richtung Kühlschrank. Kennt ihr den Film „Ab durch die Hecke?“ Ich bin der Waschbär Richie, immer auf der Suche nach dem nächsten großen Happen. Und das bunkere ich alles in meinem Beutel und wandere sehr zufrieden damit zurück zum Bett. Ich sage euch, von außen betrachtet muss das ein Schauspiel sein und ich habe dabei immer die Titelmelodie von Rocky im Kopf. Nur auf den Sprung am Ende des Weges verzichte ich momentan noch. Könnte blöd ausgehen.

Nach zwei weiteren straffen Einheiten im Trendsport „Anwinkeln – Strecken – Anwinkeln“, habe ich den Tag recht erfolgreich abgeschlossen, richte meinen Thrombosestrumpf und wechsle unfassbar elegant von Jogginghose zu Pyjama. Besoffene Otter sind meine größten Fans. Die Gehhilfen habe ich dabei durchschnittlich dreimal umgeworfen (das Tagesmittel liegt bei 15) und fluchend wieder aufgehoben. Es ist alles sehr poetisch. Vögel zwitschern und Häschen stecken sich verträumt Blumen hinter die Ohren. Das könnt ihr mir glauben. Vielleicht liegt es auch an den Schmerzmitteln. Wer weiß das schon. Vielleicht drehe ich auch einfach langsam durch, weil ich ein furchtbar ungeduldiger Mensch bin und so eine Genesung halt dauert. Aber zurück zum eigentlichen Punkt: Wie viele Kalorien hab ich denn jetzt auf der Bewegungsschiene verbrannt? 

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1 Kommentar

  1. Hallo Doreen, erst einmal gute Genesung und sorry, dass ich mich nicht schon früher gemeldet habe. Aber ja – zum Schreiben braucht man Zeit und Muse- beides war in letzter Zeit rar- und ich denke tatsächlich beim Lesen Deiner Kniegelenkskaputtgeschichte( geiler Titel übrigens), wie es wohl wäre, mal ein paar Tage nur so rumliegen ( blöder Gedanke- ich weiß) . Naja – wirklich tauschen möchte ich dann doch nicht- aber ganz ehrlich- Du solltest wirklich langsam mal ein Buch veröffentlichen- ich liebe Deinen Schreistil und wie alles so real beim Lesen rüberkommt- einfach Klasse- Du hast Talent. Sag Bescheid, wann das 1. Buch erscheint, ich melde hiermit meine Bestellung an. Zeit hättest Du ja jetzt und Stoff für eine Story gibt es bei Dir bestimmt genug 😉 und dann müsstest Du keine Pandemiefilme schauen- die Realität da draussen toppt ja inzwischen jedes Drehbuch. Halte durch, den schwierigsten Teil hast Du ja schon überstanden und Du hast schon ganz andere Zeiten gemeistert- jetzt geht es eben mal um Dich und Deine Gesundheit. Es wäre nur schön, wenn in Deiner Geschichte auch mal Liebe und Fürsorge für Dich vorkommen würden- irgendwie musst Du immer alleine wieder auf die BEINE kommen. Ich wünsche Dir viel Kraft – und sch…. auf die Kilos, die kriegst Du schon wieder runter. Ich freue mich auf den nächsten ruhepuls.180.

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