Infektbingo

Kennt ihr Infektbingo? Das ist unter Eltern ein wahnsinniges beliebtes Spiel in der Zeit von Herbst bis Frühjahr, eigentlich ganzjährig, aber manchmal wird im Sommer pausiert. Aber wer weiß das schon genau. Infektbingo ist im Grunde dasselbe wie „Der Boden ist Lava“, nur dass die Lava aus Keimen und Viren besteht und niemand bei Drei die Füße vom Boden hat und es jeden jederzeit erwischen kann. Und wird. Ist das nicht toll?

Wir gewinnen dieses Spiel seit dem Herbst durchgehend. Da macht uns niemand den ersten Platz streitig. Wir schreien immer ganz laut „Hier!“ und dann ist die Scheiße auch schon wieder am Dampfen. Früher sah man beim Bringen oder Abholen der Kinder weiße Zettel an den Türen des Kindergartens kleben, auf denen die neueste Bingolosung verkündet wurde. Heute, meldet die Kita-App das täglich neueste Höllenfeuer und ich warte fasziniert auf erste Symptome bei meinen Kindern. Ich fühle mich beinahe wie die völlig ramponierte und in Vergessenheit geratene Schwester von Indiana Jones. Ich jage keine verlorenen Schätze. Ich sammle Punkte auf der Karte. Und meine ist voll. BINGO!

In der Kita-App steht Hand-Mund-Fuß. Meine Kinder bekommen Ausschlag.

In der Kita-App steht Läuse. Meine Kinder kratzen sich beim Abholen am Kopf.

In der Kita-App steht Magen-Darm. Meine Kinder haben Bauchschmerzen beim Abholen.

In der Kita-App steht Influenza. Meine Kinder fangen in der Nacht an zu fiebern.

In der Kita-App steht Covid-19. Guess what.

Heute Morgen kam ein neuer Mitspieler dazu: Pfeiffrisches Drüsenfieber. Ich sag mal so: Nein, danke. Wir bleiben jetzt einfach mal zu Hause und lassen diesen Bonus-Kelch an uns vorbeigehen. Das wirft uns vielleicht im Rennen um den diesjährigen Infektpokal zurück, aber man kann nicht alles haben im Leben. Ich entscheide mich gegen das Pfeiffrische Drüsenfieber und für Ausschlag an allen Kindern. Als ob ich eine Wahl hätte. Könnt ihr mein hysterisches Glucksen hören?

Wer allerdings glaubt, dass der Spaß aufhört, wenn die Kinder in die Schule kommen, hat den Infektreigen dort noch nicht erlebt. Die Klassen in der Grundschule hier im Ort laufen kontinuierlich in Unterbesetzung – auf Schüler:innen- und Lehrer:innenseite. Der Vertretungsplan vom Gymnasium ist umfangreicher und aktueller als die Eilmeldungen im Fernsehen. Ich sag’s euch. Wenn du Kinder hast, ist dein Haushalt irgendwann besser bestückt als die Apotheke zwei Orte weiter. Dr. Google ist dein bester Freund und der Kinderarzt und der Kassenärztliche Notdienst sind auf Kurzwahl.

Das ist alles reichlich glamourös, ich weiß. Wenn du dann noch versuchst mit kranken Kindern im Homeoffice zu arbeiten – die Königsdisziplin – dann hast du den diamantbesetzten Gipfel der Elternschaft erreicht. Und fällst mit Anlauf drüber und purzelst volles Volley runter. Wie John Wick beim Versuch die 237 Stufen zur Sacre Coeur in Paris zu Erklimmen. Der Treppensturz war äußerst schmerzhaft anzusehen. Stellt euch einfach vor, die ganzen Profikiller, die euch für das enorm hohe Kopfgeld umbringen wollen, sind die Kindergartenviren. Und ihr seid John Wick. Das ist der beste Vergleich, der mir jemals einfiel. DER BESTE! Ihr kämpft euch das ganze verdammte Jahr an diesen Killern vorbei die Stufen hoch zur Scare Coeur. Und kurz vor dem Weihnachtsurlaub steigt am oberen Ende der Treppe, der fieseste Killer von allen aus und ruft: „ICH BINS! DAS ROTAVIRUS!“ Und ihr fallt scheppernd alle Stufen wieder hinunter. 237 Steinblöcke hinab. Und wenn ihr dann unten angekommen seid, dann geht der ganze Scheiß von vorne wieder los.

Was ich eigentlich sagen will: „John Wick – Kapitel 4“ ist der beste Actionfilm, den ich je sehen durfte. Einhundertsiebzig perfekt choreographierte Minuten Action. Wie ein ganz normales Infektbingo-Kita-Jahr. Großartig.

Legosteine.

Ich erhalte öfter Nachrichten, dass der oder die eine oder andere gerne bei uns mal Mäuschen spielen würde. Um Himmels Willen! Nein! Ihr brecht euch sämtliche Knochen! Ihr klebt am Laminat fest oder rutscht aus. Häuser, in den kleine Kinder leben, sind mörderische Fallen. Nicht für die Kinder. Für die Eltern. Ausgebildete Agenten wären binnen fünf Minuten außer Gefecht gesetzt. Bleibt also mal schön in euren sicheren Wohnungen und Häusern.

Es ist wirklich nicht ohne, sich einen Haushalt mit Nachwuchs zu teilen. Das ist nicht ungefährlich. Es ist laut, bunt, unordentlich, voller Liebe, voller Streit und Missverständnissen. Voller Lachen und Weinen, Gummibärchen und Spaghetti. Es ist jeden Tag aufs Neue eine Büchse der Pandora, die irgendjemand schon vor dem ersten Kaffee öffnet.

Eines hat jeder Tag mit den anderen gemein: du wirst niemals das Chaos beherrschen. Es beherrscht dich. Für immer. Die pastellfarbenen, pampasgrasdekorierten Instagramwelten, in denen Mütter in klinisch sauberen, glänzenden Küchen Muffins und vierstöckige Torten backen und auf Tischen mit Platzsets aus Leinen anrichten, sind Träume! Das wird niemals passieren. Vergiss es einfach! Denn spätestens wenn du die Muffins zum Tisch bringen willst, fliegt unter lautem Gebrüll eine Actionfigur durchs Esszimmer und reißt dein Gebäck mit ins Verderben. Been there. Done that.

Egal wie oft du selbst Spielzeug wegräumst oder deine Kinder anhältst das zu tun, es bleibt immer Spielzeug liegen. Immer. Und das kann so unglaublich gefährlich werden. Gut, ich verneige ich mich inzwischen auch vor der Korrelation steigendes Elternalter zu Spielzeugunfällen. Aber ich bin sicherlich nicht die einzige Mutter auf der Welt, die dank des Spieltriebs ihrer Kinder zur Invalidin wird.

Ich habe meinen Mann schon häufig in der Küche oder dem Esszimmer semi-elegant grätschen sehen, wenn er kleine, feine Pfützen Wasser übersehen hat, die die Kinder durchs Haus haben tropfen lassen, weil sie im Kinderzimmer heimlich eine Strandbar für die Barbies eröffnet hatten. Spagat hat er inzwischen drauf. Fluchen und davon humpeln auch. Das können wir beide inzwischen gut. Aber nach fast zwei Jahrzehnten gemeinsamer Elternschaft ist das auch der geringste Anspruch, den ich an uns stelle. Fluchen mindert zwar die Unfallgefahr nicht. Es hilft allerdings Schmerzen zu veratmen. Ich schwöre.

Jeder und jede kennt den Schmerz, den Legosteine und Barbieschuhe verursachen, wenn man nachts barfuß drauf tritt. Wenn du innerlich schreist, um niemanden zu wecken, dir ein Tränchen aus dem Auge kullert. Das wird an sich ja nur noch getoppt, wenn du in der sicheren Dunkelheit deines Zuhauses auf eine Reißzwecke trittst. Das ist schön!

Wenn die drei kleinen Chaoten hier in ihren Zimmern wieder „The Day After Tomorrow“ oder „Armageddon“ gespielt haben, schiebe ich mir vor Einbruch der Nacht gerne eine Schneise durch das Bodendekor, um halt nicht schmerzhaft überrascht zu werden.

Blöd wird es aber, wenn deine Kinder in der Küche auf der einzigen Treppenstufe dort mit LEGOSTEINEN spielen und du mit einem Korb voller Wäsche um die Ecke kommst, diesen verfluchten gelben Stein nicht siehst und den Sturz deines Lebens hinlegst. Ich habe einen Salto geschlagen, sagt die Überlieferung. Ich habe Sterne gesehen. Und das dienstälteste Kind hat erstmal erschrocken nach offenen Brüchen an meinen Beinen gesucht, nachdem ich mich weinend und schreiend und leicht benommen wieder auseinandergepuzzelt hatte. Ich hatte meinen Meniskusfraktur seit Jahrzehnten gut im Griff. Jetzt warte ich die nächsten vier Wochen auf einen MRT-Termin, der das Ausmaß der neuerlichen Katastrophe ans Licht bringen soll, und hinke derweil übelgelaunt wie ein Pirat durch die Welt. Kennt man ja.

Wisst ihr, was mein kleiner, süßer Sohn in der Zwischenzeit macht? Er läuft vor mir her und streut wie ein Engel Legosteine aufs Parkett!

Ruhe.

Meine Ärztin schimpfte vor einiger Zeit mit mir, dass ich schon früher hätte kommen sollen, so eine stark vereiterte Angina hätte sie noch nie gesehen. Also gab es eine siebentägige Penicillinkur und Ruhe verordnet. Ruhe. Mit Kindern. Im Haus. Kennt ihr?

Ru·he

Rúhe/ Substantiv, feminin [die]

1a. [fast völlige] Stille; durch keine Geräusche o. Ä. gestörter Zustand
„eine wohltuende, friedliche Ruhe“

Ich fuhr mit den besten Absichten nach Hause. Als ich mir dort – zum gesund werden oder Nerven beruhigen (wer weiß das schon) – einen Tee kochte, nutzten die Zwillinge die Zeit, um im Klo zu spielen. Nicht im Bad, an der Toilette. In der Nähe davon. Nein, IM Klo. Mit den Armen drin und Wasserspritzern bis an die Decke. Lautstark protestierende Kinder duschen und das Bad sauber machen entspannen ungemein, müsst ihr wissen. Das muss diese Ruhe sein von der alle reden. Wenn du versuchst in einem heillosen Chaos klarzukommen, merkst du auch gar nicht wie stark das Halsweh ist und wie schlimm die Kopfschmerzen gegen die Schädeldecke hämmern. Krank sein mit Kindern ist unglaublich idyllisch. Licht und Liebe. Und Vogelgezwitscher.

Kurze Zeit später kämpften die jüngeren Schwestern um einen neuen Paw Patrol-Badeanzug. (Warum sich in diesem Haus nur ein Paw Patrol-Badeanzug befindet, entzieht sich meiner Kenntnis. So doof kann ja keiner bei mehr als einem Kind im Haushalt sein.) Die Jüngste verlor. Als Konsequenz schubste sie den unbeteiligten Bruder um. Ruhe potenziert. Um die Gemüter zu beruhigen, teilte ich Lollis aus. Der Frieden währte satte drei Minuten, schätzungsweise. Ein Lolli war offensichtlich bunter als der andere. Also wurde diese himmelschreiende Ungerechtigkeit erneut ausgekämpft. Die Jüngste verlor. Schon wieder. Zum zweiten Mal hintereinander. Und jetzt war ich schuld. Logisch. Das Kind war sauer auf mich und brüllte. Unterdessen tappste der Sieger zufrieden mit seiner Kriegsbeute davon, um kurz darauf mit einem Lolli im Haar schreiend wiederzukommen. Also Haare waschen – unter Quietschen und Kung Fu.

Richtig „leise“ wurde es, als ich den haarigen Lolli in den Müll warf. Wie konnte ich nur! Der war noch gut! Mama! Da sich jetzt zwei Kinder in einem nervlich völlig desolaten Zustand befanden, warfen sie sich gemeinsam jammernd auf mein Sofa, auf dem ich eigentlich liegen und gesunden sollte. Eine kleine Lady durchkreuzte singend im Badeanzug die Szenerie und den Kindern fiel unisono ein, was sie wollten: Paw Patrol gucken! Und plötzlich war… Ruhe! Kennt ihr?

Und der Tee, den ich mir gekocht hatte, war kalt.

Ru·he

Rúhe/ Substantiv, feminin [die]

1b. das Aufhören der Bewegung; Stillstand
“das Pendel ist, befindet sich in Ruhe. Stillstand“

Die Vierjährige wird fünf

Unvermeidlich im Leben einer Mama sind ja nur ein – oder zwei bis fünf Kindergeburtstage pro Jahr. Schön schaurig, nervenaufreibend, knallbunt. laut und unvergesslich. Und trotz der Tatsache, dass sich diese Rock’n Roll-Parties tief in das mütterliche Gedächtnis eingraben, sind wir doch immer wieder so geistig umnachtet, einen neuen Kindergeburtstag auszurichten. Mit allen Konsequenzen. Irgendwann lern ich’s noch. Ganz sicher. Ach, gebt mir einfach Schnaps.

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Ach komm, das wird gut.

Kindertag mit Kindern.

In Thüringen haben wir seit diesem Jahr das Privileg, den Internationalen Kindertag als Feiertag begehen zu können. Arbeitsfrei, schulfrei, kindergartenfrei. Und damit fängt das Dilemma schon an. Denn Feiertage und Wochenenden haben die blöde Angewohnheit, meinen Mann im Internet nach Festen und Veranstaltungen suchen zu lassen, die man mit den Kindern besuchen könnte. Das wird toll! Da gibt es bestimmt auch Hüpfburgen. Lass uns mal die Kinder einpacken und losfahren. Und mit der Zielgenauigkeit eines Trüffelschweins, findet er genau die Veranstaltungen, nach denen mein Nervenkostüm notgerodet werden muss. Und ich weiß das immer schon genau dann, wenn er mir sagt, dass wir heute doch nach Kleinklappersdorf fahren könnten, da wäre ein Kinderfest und da wäre bestimmt was für die Kinder dabei. Fein.

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Wir waren heute duschen.

Das mache ich nie wieder! Eine Leidensgeschichte in 53 Akten bei strahlendem Sonnenschein und sehr viel Geschrei. Sehr viel Geschrei. Hier gehts lang:

Freitagmittag rief mich mein Mann an, um mir mitzuteilen, dass der Motor unserer Heizungsanlage ausgefallen sei und die Ersatzteile nicht vor Montag lieferbar seien. Nichts, wirklich nichts schreit lauter „Hallo, du Drüsengünther! Ich bin’s, Freitag, der 13te!“ als eine kaputte Warmwasserversorgung und die Aussicht auf fünf stinkende Kinder. Nichts. Dass das richtig schön werden würde, hab ich da irgendwie schon geahnt.

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Ostern war früher auch mal ruhiger

Es gibt keine Zeit im Jahr, die ich mehr fürchte als zusammenhängende Feiertage. Kaum hab ich Weihnachten überlebt, klopft der Osterhase an die Tür. Wie ich dieses Langohr hasse! Schulferien, Feiertage, Kinder zu Hause! Ich liebe diese kleinen Terroristen. Ja, wirklich. Jeden. Einzeln. Nur als Zusammenrottung sind die schlimmer als jede Horde Zombies. Die rollen einfach über alles drüber, zerstören, schlachten aus, richten Unheil an und sind dabei so fürchterlich laut am lachen. Jeder Horrorfilm ist Kinderkacke dagegen! Was nun folgt ist eine Chronik meines körperlichen und geistigen Zerfalls über die Feiertage.

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Das! Ist! Sparta!

Manchmal kommen mein Mann und ich auf ganz wunderliche Ideen. Das bleibt bei fünf Kindern nicht aus. Denn ohne Schaden überlebt man das Zusammenleben mit zwei Teenagern und drei Kleinkindern halt einfach nicht. Vor kurzem kam der Gatte ja auf die grandiose Idee bei laufendem Betrieb die Küche umzubauen. Das zieht sich jetzt seit Februar, aber es wird. Es ist abenteuerlich, aber wir sehen da sowas wie ein Ziel. Vor ein paar Tagen aber waren wir ganz schlau: er geht mit den Teenies Schuhe kaufen und ich koche zu Hause im Beisein der „Drillinge“ das Abendessen. Wird easy peasy. Ganz entspannt. Erinnert ihr auch an die Szene aus „300“, in der Leonidas „THIS IS SPARTA!“ brüllt? Solche Szene spielen sich hier ab, wenn die Kinder merken, dass sie jetzt leichtes Spiel haben. Das sind Szenen eines Peloponnesischen Krieges würdig, in dem wir Eltern – ganz klar – die griechischen Verlierer sind.

Nun hat sich die Zahl der Streitkräfte auf beiden Seiten aber gedreht. Und wir sind selbst schuld. Dass wir gegen die Kinderzahl im Haus unterlegen sein könnten, haben wir schon kurz nach Geburt unseres ersten gemeinsamen Kindes bemerkt. Das ging strategisch aber noch ganz gut auf. Dann wurde ich – hoppla – nochmal schwanger und wir sahen unsere Felle sanft davonschwimmen. Bis zum dem Moment als feststand, dass es Zwillinge werden. Fünf gegen zwei. Wir liegen seither öfter in Embryonalstellung hinter der Tür, in der Hoffnung von keinem der Kinder hier entdeckt zu werden. Aber das geht leider nicht immer, denn diese Folterspezialisten, von denen zwei gerne mal über mehrere Tage das gleiche Paar Socken tragen, damit sich ein tränengasartiger Geruch entwickeln kann und die übrigen drei Stimmfrequenzen haben, die Erdbeben auslösen können, müssen ja auch mal eingekleidet werden. Denn: Wachsen tun sie ja auch noch unablässig. Das ist eine Kriegslist. Also haben mein Mann und ich uns aufgeteilt. Zwei gegen einen und drei gegen eine.

Ob wir manchmal bekloppt sind? Ja. Ob wir nach fast zwei Jahrzehnten Elternschaft immer noch reichlich blöde Anfängerfehler machen? Klar! Ob wir die chaotische Wucht unserer Kinder ein ums andere Mal unterschätzen? Logo!

Also fährt der Mann entspannt mit den großen Mädchen los zu Reno und ich sortiere mir die Töpfe auf die neue Induktionskochplatte. Das klingt in der Theorie immer alles ganz hübsch, wenn da nicht die Praxis wäre. Schon mal mit Teenagern shoppen gewesen? Nur Weisheitszähne ziehen lassen ist schöner. Aber von diesem Drama in vier Akten bekomme ich hier nichts mit, denn in meiner Küche piept es fürchterlich laut, umrahmt vom Geschrei der Zwillinge, die mir unter arhythmischem Geklapper ihre Töpfchen in den Weg stellen. Das Piepen kommt entweder von der Dunstabzugshaube oder dem Kochfeld, aber da leuchtet nix. Nach einiger audiophiler Verwirrung steht fest, Neo! Konstantin! Gaede! hat den Wecker am neuen Backofen gestellt. Das kann er also auch. Während ich Kartoffeln schäle, holen die Zwillinge kleine Hocker herbei und stellen sich links und rechts von mir auf, um – besser als jeder Sportkommentator – meine Arbeit zu beschreiben. Long story short: Ich bin eine böse Mama. Weil ich das Kochfeld wieder einschalte, nachdem die dunklen Herrscher es ausschalten. Immer abwechselnd. Einer steigt auf den Hocker und schaltet aus. Der andere wartet und applaudiert. Nachdem ich klargestellt habe, dass ich die Kontrolle über den Herd habe, drehen sie mir beleidigt den Rücken zu und ziehen ab. In der nun folgenden fünfminutigen Stille kann ich zwar die Klöpschen formen und in die Pfanne legen, die Kartoffeln aufsetzen und die Dose frischgeernteter Erbsen in einen Topf gießen, aber ich habe auch in jeder verdammten Sekunde Panik, dass die zwei irgendwas anstellen. Und da fällt mir ein: Wo ist die Dritte?

Das dritte Kind sitzt leise summend im Wohnzimmer und malt mit meinem Lippenstift wunderschöne impressionistische Gemälde auf die weiße Kommode. Bei dem Anblick hebt sich seltsamerweise nicht mal mein Puls an – das nennt man dann wohl Konditionierung. Wenigstens hat es dieses Mal nicht den Fernseher getroffen. Ich nehme ihr also den Lippenstift ab und verweise auf das Malbuch, das auf dem Tisch liegt und renne wieder in die Küche. Denn: da piept es! Schon wieder. Dieses Mal ist es nicht der Wecker am Backofen. Nein, das Induktionskochfeld piept. Hätte ich ja gleich draufkommen können. Nur habe ich nicht den Hauch einer Ahnung weshalb. Diese verfluchte Technik! Ich will doch nur Klöpschen braten! Und wo sind die Zwillinge hin?

Die stehen im Kinderzimmer und ziehen sich gerade die Windeln aus. Voll schön. Dann brennt jetzt halt die Küche, aber Zwillinge ohne Windeln am Bobbes sind riskanter als jede Rauchentwicklung auf dem Herd. Nachdem ich beiden frische Windeln angezogen habe und zurück in die Küche stolpere, um festzustellen, dass es immer noch piepst, kommen die Teenager mit halbwegs glücklichen Gesichtern zur Tür rein. Der Mann hingegen wirkt etwas blass. Das ist dann aber auch der Moment, in dem ich sage, dass ich nie wieder koche, wenn ich mit den drei Kleinsten allein zu Hause bin und meine große Tochter mit leicht genervtem Blick zum Herd geht, das Wasser vom Kochfeld wischt und sagt: „Mann, Mama! Die Platte war nass. Dann geht der Alarm los. Stell das doch mal ab.“ Klar, die Platte quakt, wenn Wasser draufkommt. Warum wusste ich das nicht? Wer erfindet sowas? Warum weiß der Teenie das? Kann ich jetzt ins Bett? Und woher kommen die Schutzgelderpresser hinter mir plötzlich her? Die Zwillinge – nämlich – haben die 3D-Brillen aus der Schublade gekramt und sehen damit fürchterlich gefährlich aus. So gefährlich, dass ich umgehend Klöpschen als Anzahlung herausgebe. Oder als Kriegsopfer. Denn gegen meine Nerven hat die Bande auf jeden Fall mal wieder gewonnen.

Vielleicht tapezieren wir nächste Woche, wenn ich die Diabetessprechstunden und Kieferorthopädentermine mit den Kindern abgeklappert habe. Weil ich eventuell – aus Versehen – gestern die alte, vollgemalte Tapete im Wohnzimmer von den Wänden gerissen hab. Ich schätze mal, das war eine Übersprunghandlung. Irgendetwas in der Art. Es war so still im Haus. Kein Kind hat geschrien. Der Mann war arbeiten. Es herrschte kein Chaos. Und das konnte ich so nicht stehen lassen.

Entschleunigung im Rückwärtsgang

Wir waren spazieren. Alle. Das bedeutet für den kleinen Ort, in dem wir leben, dass eine lautstarke Völkerwanderung losbricht und man sich zum Schutz von Füßen und Nerven besser hinter der Gardine versteckt. Denn! Die drei Kleinsten fahren Laufrad. Ich bin Chefin meiner eigenen Bikergang. Und da geht man als unbeteiligter Dritter lieber auf zaghaften Abstand. Jeder, der Sons of Anarchy gesehen hat, weiß was ich meine. Drei Kleinkinder auf Laufrädern, zwei genervte Teenager, ein völlig entspannter Papa und eine Mama am Rande des Nervenzusammenbruchs. Der Radweg ist schlagartig voll und nichts geht mehr. Weder vor noch zurück und damit sind wir auch schon beim Kern des Pudels angekommen.

Nichts! Geht! Mehr! Denn da liegen Steine am Wegesrand. Und Grasbüschel wachsen gemächlich vor sich hin. Und die Hundehaufen sehen auch ganz fürchterlich interessant aus. Könnte man näher betrachten, am besten in der Hocke, leicht nach vorne kippend. Überhaupt ist alles interessant. Jeder Fussel, jedes Blatt, jeder Radfahrer, jeder Hund, jeder Stein. Nur Mama und Papa nicht, wenn die was sagen. Das ist das gelebte Rückwärtslaufen, das weltberühmte Hamsterrad. Die Entdeckung der Langsamkeit. Das ist der sagenumwobene Weg zum Schicksalsberg, der so unendlich lang ist, dass man das Gefühl hat nie auch nur in seine Nähe zu kommen. Und wenn doch, dann entpuppt sich ein kleiner Stock als der eine Ring, der Schatz, um den sich drei Gollums zanken. Da kannste schon mal in Embryonalstellung im Feld liegen.

Fünf Kinder bedeuten ja auch fünf unterschiedliche Geschwindigkeiten und Richtungen. Das geht niemals einheitlich nach vorne, sondern immer sternförmig auseinander. Und da ich nicht Elastigirl bin, muss ich Speedy Gonzales und Lastenesel in einem sein. Nach 500 Metern nämlich trage ich zwei Laufräder, habe die Taschen voller Steine und war schon eine Stunde unterwegs. Mein Mann sitzt irgendwo am Wegesrand in der Hocke und beobachtet das Spektakel. Der hat’s raus. Die Zwillinge haben gerade einen Welpen entdeckt, der heute wahrscheinlich zum ersten Mal Gassi geführt wird und das ab sofort zeitlebens verweigern wird. Die Vierjährige brüllt derweil die Teenager an, weil die sich nicht brav untergeordnet haben und hinter ihr hergelaufen sind. Als völlig logische Konsequenz lässt sie ihr Laufrad im Feld fallen. Es ist alles sehr harmonisch.

Die Sonne kitzelt die Seele und in der Ruhe der Natur kann man endlich mal ausspannen. Haha! Könnte man. Allein. In Alaska. Aber nicht hier. Ich belle Befehle und Bitten in fünf Richtungen und werde aus fünf Richtungen ignoriert. Schlafen wäre jetzt schön. Wie Dornröschen.

Unerwarteterweise einigt sich die Kolonne schließlich auf eine gemeinsame Marschrichtung, die nach zehn Metern damit endet, dass die Zwillinge um ein Laufrad streiten. Worte wie „Böse Luna“ und „Neo war das!“ fallen. Nasen laufen. Taschentücher fliegen durch die Szenerie. Nerven bröckeln. Am Ende will keiner damit fahren und beide möchten auf meinen Arm. Klar, ich fahr einfach die Greifer Nummer 3 und 4 aus. Passt schon. Nach produktivem Abwägen aller Möglichkeiten, trage ich den leichteren Zwilling und den anderen hab ich an der Hand. Papa trägt die Laufräder. Die Teenager trotten brav hinter der Vierjährigen her und nach dreistündiger Odyssee durch zwei Häuserblocks und einen kurzen Ausblick auf den Radweg, den ich eigentlich im Blick hatte für die Tour, sind wir wieder am Startpunkt angekommen. Da hätte ich auch einen Marathon laufen können durch den Ural, das wäre weniger anstrengend gewesen. Morgen soll es regnen. Da können wir nicht spazieren gehen. Schade.

Wusstet ihr übrigens, dass man Findlinge auf fremden Grundstücken mit einem leichten Stockhieb und dem Ausruf „Meine!“ in Besitz nehmen kann? Uns gehören jetzt rund 30 riesengroße Steine. Hat jemand ein Katapult und braucht die Dinger?

Kinder sind Gremlins

Wisst ihr, wie toll es ist Kinder mit Rotznasen und Husten zu haben? Wenn die Kleinsten krank sind und alle deshalb schlecht schlafen? Dann treffe ich morgens blöde Entscheidungen – wie das noch müde Kleinkind vom Kindergarten abzumelden. Ach, die anderen beiden ja auch. Soll ja lustig werden. Klingt harmlos. Ist es aber nicht! Es entwickeln sich im Anschluss Situationen, die man nur kennt, wenn man so dämlich ist Gremlins nach Mitternacht zu füttern.

Einer der Zwillinge kotzt mein Müsli ins Wohnzimmer, als ich kurz im Bad bin. Wollte ich zwar essen, eignet sich aber wohl besser als Trittschalldämmung. Danach ziehen beide weiter in die Küche, um sich Alufolie um den Kopf zu wickeln, die der Papa in der morgendlichen Eile in durch Hocker stapeln erreichbarer Höhe auf der Arbeitsplatte liegen ließ. Zwilling 1 verreibt sich ständig den Nasenschnodder im Gesicht und auf dem Laminat und den Wänden und Zwilling 2 zieht überall Kabel raus und Nachttischlampen runter. Als ich den beiden in der Küche etwas zu trinken gebe, sitzt die Vierjährige derweil entspannt im Kinderzimmer unterm Tisch und schmiert alles mit Linola ein. Der Teppich dort wird nie wieder unter trockener Haut leiden.

Anschließend räumen die „Drillinge“ alles, wirklich alles, vom Kinderzimmer ins Wohnzimmer. Wie eine beschwipste Ameisenkolonie. Schleichtiere verursachen höllische Schmerzen, wenn man drauf tritt. Wusstet ihr das? Zwischen all dem Spielzeug finden sie blaue Kreide, die offenbar richtig gut schmeckt. „Braveheart“ haben sie zwar nie gesehen, aber die Visagisten könnten sich noch heute gute Tipps bei meinen Kindern holen.

Während ich mit den Zwillingen diskutiere, dass es doch einfacher wäre, das Spielzeug im dafür vorgesehenen Raum zu lassen, klettert die Vierjährige im Schlafzimmer über diverse Möbel, um an mein Mascara auf der hohen Kommode zu kommen und das Sofa im Wohnzimmer damit einzuschmieren. Es hat von nun an die schönsten Wimpern im gesamten Landkreis. Für immer. Geht nicht raus. Was soll’s. Passt nun wunderbar zu meinem ehemals cremefarbenen Bürostuhl, den jetzt expressionistische Werke zieren, die liebevoll mit Papas wasserfester Edding-Sammlung angebracht worden sind. Jackson Pollock würde applaudieren. Die Edding Marker standen übrigens auf dem höchsten Regal im Büro. Aber hey! Wenn man einmal die hohe Kommode im Schlafzimmer erklommen hat, ist das Regal überm Schreibtisch ein Klacks.

Kinder bereichern unser Leben, machen es bunter (oder schwarz wie mein Mascara von Lancôme) und schöner (sagt das Sofa). Ich kann mir ein Leben ohne Kinder gar nicht mehr vorstellen. Ich weiß auch gar nicht wie das ist ein sauberes Sofa und intakte Tapeten zu haben. Ist sicherlich langweilig, ne. Aber vielleicht machen die Monster (eh, Kinder) ja gleich Mittagsschlaf, dann kann ich kurz aufräumen (Schnaps trinken) und die Füße hochlegen (weg rennen).

Ich geh jetzt weinen.
Leise. In Embryonalstellung.
Unten neben der Waschmaschine, die heute bereits die dritte Runde läuft, weil die Bettwäsche die liebevolle Massage mit Schokolade nicht so gut verkraftet hat wie die Kleinsten vielleicht dachten.