Infektbingo

Kennt ihr Infektbingo? Das ist unter Eltern ein wahnsinniges beliebtes Spiel in der Zeit von Herbst bis Frühjahr, eigentlich ganzjährig, aber manchmal wird im Sommer pausiert. Aber wer weiß das schon genau. Infektbingo ist im Grunde dasselbe wie „Der Boden ist Lava“, nur dass die Lava aus Keimen und Viren besteht und niemand bei Drei die Füße vom Boden hat und es jeden jederzeit erwischen kann. Und wird. Ist das nicht toll?

Wir gewinnen dieses Spiel seit dem Herbst durchgehend. Da macht uns niemand den ersten Platz streitig. Wir schreien immer ganz laut „Hier!“ und dann ist die Scheiße auch schon wieder am Dampfen. Früher sah man beim Bringen oder Abholen der Kinder weiße Zettel an den Türen des Kindergartens kleben, auf denen die neueste Bingolosung verkündet wurde. Heute, meldet die Kita-App das täglich neueste Höllenfeuer und ich warte fasziniert auf erste Symptome bei meinen Kindern. Ich fühle mich beinahe wie die völlig ramponierte und in Vergessenheit geratene Schwester von Indiana Jones. Ich jage keine verlorenen Schätze. Ich sammle Punkte auf der Karte. Und meine ist voll. BINGO!

In der Kita-App steht Hand-Mund-Fuß. Meine Kinder bekommen Ausschlag.

In der Kita-App steht Läuse. Meine Kinder kratzen sich beim Abholen am Kopf.

In der Kita-App steht Magen-Darm. Meine Kinder haben Bauchschmerzen beim Abholen.

In der Kita-App steht Influenza. Meine Kinder fangen in der Nacht an zu fiebern.

In der Kita-App steht Covid-19. Guess what.

Heute Morgen kam ein neuer Mitspieler dazu: Pfeiffrisches Drüsenfieber. Ich sag mal so: Nein, danke. Wir bleiben jetzt einfach mal zu Hause und lassen diesen Bonus-Kelch an uns vorbeigehen. Das wirft uns vielleicht im Rennen um den diesjährigen Infektpokal zurück, aber man kann nicht alles haben im Leben. Ich entscheide mich gegen das Pfeiffrische Drüsenfieber und für Ausschlag an allen Kindern. Als ob ich eine Wahl hätte. Könnt ihr mein hysterisches Glucksen hören?

Wer allerdings glaubt, dass der Spaß aufhört, wenn die Kinder in die Schule kommen, hat den Infektreigen dort noch nicht erlebt. Die Klassen in der Grundschule hier im Ort laufen kontinuierlich in Unterbesetzung – auf Schüler:innen- und Lehrer:innenseite. Der Vertretungsplan vom Gymnasium ist umfangreicher und aktueller als die Eilmeldungen im Fernsehen. Ich sag’s euch. Wenn du Kinder hast, ist dein Haushalt irgendwann besser bestückt als die Apotheke zwei Orte weiter. Dr. Google ist dein bester Freund und der Kinderarzt und der Kassenärztliche Notdienst sind auf Kurzwahl.

Das ist alles reichlich glamourös, ich weiß. Wenn du dann noch versuchst mit kranken Kindern im Homeoffice zu arbeiten – die Königsdisziplin – dann hast du den diamantbesetzten Gipfel der Elternschaft erreicht. Und fällst mit Anlauf drüber und purzelst volles Volley runter. Wie John Wick beim Versuch die 237 Stufen zur Sacre Coeur in Paris zu Erklimmen. Der Treppensturz war äußerst schmerzhaft anzusehen. Stellt euch einfach vor, die ganzen Profikiller, die euch für das enorm hohe Kopfgeld umbringen wollen, sind die Kindergartenviren. Und ihr seid John Wick. Das ist der beste Vergleich, der mir jemals einfiel. DER BESTE! Ihr kämpft euch das ganze verdammte Jahr an diesen Killern vorbei die Stufen hoch zur Scare Coeur. Und kurz vor dem Weihnachtsurlaub steigt am oberen Ende der Treppe, der fieseste Killer von allen aus und ruft: „ICH BINS! DAS ROTAVIRUS!“ Und ihr fallt scheppernd alle Stufen wieder hinunter. 237 Steinblöcke hinab. Und wenn ihr dann unten angekommen seid, dann geht der ganze Scheiß von vorne wieder los.

Was ich eigentlich sagen will: „John Wick – Kapitel 4“ ist der beste Actionfilm, den ich je sehen durfte. Einhundertsiebzig perfekt choreographierte Minuten Action. Wie ein ganz normales Infektbingo-Kita-Jahr. Großartig.

Legosteine.

Ich erhalte öfter Nachrichten, dass der oder die eine oder andere gerne bei uns mal Mäuschen spielen würde. Um Himmels Willen! Nein! Ihr brecht euch sämtliche Knochen! Ihr klebt am Laminat fest oder rutscht aus. Häuser, in den kleine Kinder leben, sind mörderische Fallen. Nicht für die Kinder. Für die Eltern. Ausgebildete Agenten wären binnen fünf Minuten außer Gefecht gesetzt. Bleibt also mal schön in euren sicheren Wohnungen und Häusern.

Es ist wirklich nicht ohne, sich einen Haushalt mit Nachwuchs zu teilen. Das ist nicht ungefährlich. Es ist laut, bunt, unordentlich, voller Liebe, voller Streit und Missverständnissen. Voller Lachen und Weinen, Gummibärchen und Spaghetti. Es ist jeden Tag aufs Neue eine Büchse der Pandora, die irgendjemand schon vor dem ersten Kaffee öffnet.

Eines hat jeder Tag mit den anderen gemein: du wirst niemals das Chaos beherrschen. Es beherrscht dich. Für immer. Die pastellfarbenen, pampasgrasdekorierten Instagramwelten, in denen Mütter in klinisch sauberen, glänzenden Küchen Muffins und vierstöckige Torten backen und auf Tischen mit Platzsets aus Leinen anrichten, sind Träume! Das wird niemals passieren. Vergiss es einfach! Denn spätestens wenn du die Muffins zum Tisch bringen willst, fliegt unter lautem Gebrüll eine Actionfigur durchs Esszimmer und reißt dein Gebäck mit ins Verderben. Been there. Done that.

Egal wie oft du selbst Spielzeug wegräumst oder deine Kinder anhältst das zu tun, es bleibt immer Spielzeug liegen. Immer. Und das kann so unglaublich gefährlich werden. Gut, ich verneige ich mich inzwischen auch vor der Korrelation steigendes Elternalter zu Spielzeugunfällen. Aber ich bin sicherlich nicht die einzige Mutter auf der Welt, die dank des Spieltriebs ihrer Kinder zur Invalidin wird.

Ich habe meinen Mann schon häufig in der Küche oder dem Esszimmer semi-elegant grätschen sehen, wenn er kleine, feine Pfützen Wasser übersehen hat, die die Kinder durchs Haus haben tropfen lassen, weil sie im Kinderzimmer heimlich eine Strandbar für die Barbies eröffnet hatten. Spagat hat er inzwischen drauf. Fluchen und davon humpeln auch. Das können wir beide inzwischen gut. Aber nach fast zwei Jahrzehnten gemeinsamer Elternschaft ist das auch der geringste Anspruch, den ich an uns stelle. Fluchen mindert zwar die Unfallgefahr nicht. Es hilft allerdings Schmerzen zu veratmen. Ich schwöre.

Jeder und jede kennt den Schmerz, den Legosteine und Barbieschuhe verursachen, wenn man nachts barfuß drauf tritt. Wenn du innerlich schreist, um niemanden zu wecken, dir ein Tränchen aus dem Auge kullert. Das wird an sich ja nur noch getoppt, wenn du in der sicheren Dunkelheit deines Zuhauses auf eine Reißzwecke trittst. Das ist schön!

Wenn die drei kleinen Chaoten hier in ihren Zimmern wieder „The Day After Tomorrow“ oder „Armageddon“ gespielt haben, schiebe ich mir vor Einbruch der Nacht gerne eine Schneise durch das Bodendekor, um halt nicht schmerzhaft überrascht zu werden.

Blöd wird es aber, wenn deine Kinder in der Küche auf der einzigen Treppenstufe dort mit LEGOSTEINEN spielen und du mit einem Korb voller Wäsche um die Ecke kommst, diesen verfluchten gelben Stein nicht siehst und den Sturz deines Lebens hinlegst. Ich habe einen Salto geschlagen, sagt die Überlieferung. Ich habe Sterne gesehen. Und das dienstälteste Kind hat erstmal erschrocken nach offenen Brüchen an meinen Beinen gesucht, nachdem ich mich weinend und schreiend und leicht benommen wieder auseinandergepuzzelt hatte. Ich hatte meinen Meniskusfraktur seit Jahrzehnten gut im Griff. Jetzt warte ich die nächsten vier Wochen auf einen MRT-Termin, der das Ausmaß der neuerlichen Katastrophe ans Licht bringen soll, und hinke derweil übelgelaunt wie ein Pirat durch die Welt. Kennt man ja.

Wisst ihr, was mein kleiner, süßer Sohn in der Zwischenzeit macht? Er läuft vor mir her und streut wie ein Engel Legosteine aufs Parkett!

Urlaub mit Kindern. Fun. Fun. Superfun!

Ich war im Urlaub. Mit drei Kleinkindern. Einem Teenager. Und meinem Mann. Ratet mal. Ja, genau. Ich brauch Urlaub. Von meinen Kindern. Vielleicht auch von meinem Mann. Auf einer einsamen Insel. Im Pazifik. Gerne Haie drumherum. Dann bleibt es ruhig. Superruhig! Ich habe im Urlaub gelernt, dass ich Ruhe schätze. Sehr sogar.

Alles begann mit der planmäßigen und voller Angst erwarteten Sommerferienzeit der drei Kleinsten vom Kindergarten. Yay! Kinder bespaßen. Rund um die Uhr. Ich freue mich jedes Jahr darauf. Die erste Woche lief ganz gut und das war die Falle, in die wir getappt sind. Denn das veranlasste meinen Mann zu der wunderbaren Idee, ans Meer zu fahren. Nach Polen. Würde bestimmt wunderschön werden: Die Kinder spielen den ganzen Tag im Sand, wir chillen im Strandkorb und am Ende sind alle glücklich. Merkt ihr selber, ne? Warum macht man das? Urlaub mit Kindern? Finde mal von jetzt auf gleich eine Unterkunft für sieben Personen. Last Minute. Am Meer. In der Hauptsaison. An dem Wochenende, ab dem in allen Bundesländern Sommerferien sind.

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Das! Ist! Sparta!

Manchmal kommen mein Mann und ich auf ganz wunderliche Ideen. Das bleibt bei fünf Kindern nicht aus. Denn ohne Schaden überlebt man das Zusammenleben mit zwei Teenagern und drei Kleinkindern halt einfach nicht. Vor kurzem kam der Gatte ja auf die grandiose Idee bei laufendem Betrieb die Küche umzubauen. Das zieht sich jetzt seit Februar, aber es wird. Es ist abenteuerlich, aber wir sehen da sowas wie ein Ziel. Vor ein paar Tagen aber waren wir ganz schlau: er geht mit den Teenies Schuhe kaufen und ich koche zu Hause im Beisein der „Drillinge“ das Abendessen. Wird easy peasy. Ganz entspannt. Erinnert ihr auch an die Szene aus „300“, in der Leonidas „THIS IS SPARTA!“ brüllt? Solche Szene spielen sich hier ab, wenn die Kinder merken, dass sie jetzt leichtes Spiel haben. Das sind Szenen eines Peloponnesischen Krieges würdig, in dem wir Eltern – ganz klar – die griechischen Verlierer sind.

Nun hat sich die Zahl der Streitkräfte auf beiden Seiten aber gedreht. Und wir sind selbst schuld. Dass wir gegen die Kinderzahl im Haus unterlegen sein könnten, haben wir schon kurz nach Geburt unseres ersten gemeinsamen Kindes bemerkt. Das ging strategisch aber noch ganz gut auf. Dann wurde ich – hoppla – nochmal schwanger und wir sahen unsere Felle sanft davonschwimmen. Bis zum dem Moment als feststand, dass es Zwillinge werden. Fünf gegen zwei. Wir liegen seither öfter in Embryonalstellung hinter der Tür, in der Hoffnung von keinem der Kinder hier entdeckt zu werden. Aber das geht leider nicht immer, denn diese Folterspezialisten, von denen zwei gerne mal über mehrere Tage das gleiche Paar Socken tragen, damit sich ein tränengasartiger Geruch entwickeln kann und die übrigen drei Stimmfrequenzen haben, die Erdbeben auslösen können, müssen ja auch mal eingekleidet werden. Denn: Wachsen tun sie ja auch noch unablässig. Das ist eine Kriegslist. Also haben mein Mann und ich uns aufgeteilt. Zwei gegen einen und drei gegen eine.

Ob wir manchmal bekloppt sind? Ja. Ob wir nach fast zwei Jahrzehnten Elternschaft immer noch reichlich blöde Anfängerfehler machen? Klar! Ob wir die chaotische Wucht unserer Kinder ein ums andere Mal unterschätzen? Logo!

Also fährt der Mann entspannt mit den großen Mädchen los zu Reno und ich sortiere mir die Töpfe auf die neue Induktionskochplatte. Das klingt in der Theorie immer alles ganz hübsch, wenn da nicht die Praxis wäre. Schon mal mit Teenagern shoppen gewesen? Nur Weisheitszähne ziehen lassen ist schöner. Aber von diesem Drama in vier Akten bekomme ich hier nichts mit, denn in meiner Küche piept es fürchterlich laut, umrahmt vom Geschrei der Zwillinge, die mir unter arhythmischem Geklapper ihre Töpfchen in den Weg stellen. Das Piepen kommt entweder von der Dunstabzugshaube oder dem Kochfeld, aber da leuchtet nix. Nach einiger audiophiler Verwirrung steht fest, Neo! Konstantin! Gaede! hat den Wecker am neuen Backofen gestellt. Das kann er also auch. Während ich Kartoffeln schäle, holen die Zwillinge kleine Hocker herbei und stellen sich links und rechts von mir auf, um – besser als jeder Sportkommentator – meine Arbeit zu beschreiben. Long story short: Ich bin eine böse Mama. Weil ich das Kochfeld wieder einschalte, nachdem die dunklen Herrscher es ausschalten. Immer abwechselnd. Einer steigt auf den Hocker und schaltet aus. Der andere wartet und applaudiert. Nachdem ich klargestellt habe, dass ich die Kontrolle über den Herd habe, drehen sie mir beleidigt den Rücken zu und ziehen ab. In der nun folgenden fünfminutigen Stille kann ich zwar die Klöpschen formen und in die Pfanne legen, die Kartoffeln aufsetzen und die Dose frischgeernteter Erbsen in einen Topf gießen, aber ich habe auch in jeder verdammten Sekunde Panik, dass die zwei irgendwas anstellen. Und da fällt mir ein: Wo ist die Dritte?

Das dritte Kind sitzt leise summend im Wohnzimmer und malt mit meinem Lippenstift wunderschöne impressionistische Gemälde auf die weiße Kommode. Bei dem Anblick hebt sich seltsamerweise nicht mal mein Puls an – das nennt man dann wohl Konditionierung. Wenigstens hat es dieses Mal nicht den Fernseher getroffen. Ich nehme ihr also den Lippenstift ab und verweise auf das Malbuch, das auf dem Tisch liegt und renne wieder in die Küche. Denn: da piept es! Schon wieder. Dieses Mal ist es nicht der Wecker am Backofen. Nein, das Induktionskochfeld piept. Hätte ich ja gleich draufkommen können. Nur habe ich nicht den Hauch einer Ahnung weshalb. Diese verfluchte Technik! Ich will doch nur Klöpschen braten! Und wo sind die Zwillinge hin?

Die stehen im Kinderzimmer und ziehen sich gerade die Windeln aus. Voll schön. Dann brennt jetzt halt die Küche, aber Zwillinge ohne Windeln am Bobbes sind riskanter als jede Rauchentwicklung auf dem Herd. Nachdem ich beiden frische Windeln angezogen habe und zurück in die Küche stolpere, um festzustellen, dass es immer noch piepst, kommen die Teenager mit halbwegs glücklichen Gesichtern zur Tür rein. Der Mann hingegen wirkt etwas blass. Das ist dann aber auch der Moment, in dem ich sage, dass ich nie wieder koche, wenn ich mit den drei Kleinsten allein zu Hause bin und meine große Tochter mit leicht genervtem Blick zum Herd geht, das Wasser vom Kochfeld wischt und sagt: „Mann, Mama! Die Platte war nass. Dann geht der Alarm los. Stell das doch mal ab.“ Klar, die Platte quakt, wenn Wasser draufkommt. Warum wusste ich das nicht? Wer erfindet sowas? Warum weiß der Teenie das? Kann ich jetzt ins Bett? Und woher kommen die Schutzgelderpresser hinter mir plötzlich her? Die Zwillinge – nämlich – haben die 3D-Brillen aus der Schublade gekramt und sehen damit fürchterlich gefährlich aus. So gefährlich, dass ich umgehend Klöpschen als Anzahlung herausgebe. Oder als Kriegsopfer. Denn gegen meine Nerven hat die Bande auf jeden Fall mal wieder gewonnen.

Vielleicht tapezieren wir nächste Woche, wenn ich die Diabetessprechstunden und Kieferorthopädentermine mit den Kindern abgeklappert habe. Weil ich eventuell – aus Versehen – gestern die alte, vollgemalte Tapete im Wohnzimmer von den Wänden gerissen hab. Ich schätze mal, das war eine Übersprunghandlung. Irgendetwas in der Art. Es war so still im Haus. Kein Kind hat geschrien. Der Mann war arbeiten. Es herrschte kein Chaos. Und das konnte ich so nicht stehen lassen.

Teenager sind die schlimmeren Kinder

Wisst ihr, was niedlich ist? Teenager schon mal nicht. Daran denkt man nur leider nicht, wenn man nach sechs Stunden Wehen, Dammriss, Blut und Schweiß endlich sein erstes Kind in den Armen hält. Ein krächzendes, verschrumpeltes Häufchen Baby. Die große Liebe deines Lebens (gut, eine von noch vielen großen Lieben meines Lebens, aber das wusste ich damals ja noch nicht). Dieser eine kleine Mensch, der dich vollkommen macht, dir den Schlaf rauben wird. Ein Leben lang, wie ich jetzt weiß.

Teenager sind wunderbar! Wunderbar seltsam. Wunderbar faul. Wunderbar schlampig. Wunderbar eklig. Sie stellen dich jeden Tag vor die Entscheidung: „Lieb ich dich oder möchte ich dich im Ural aussetzen?“ Der Ural soll ja im Winter besonders schön sein. Gut, der hat keinen gefüllten Kühlschrank, kein W-LAN, keinen Wäschekorb direkt vor der Zimmertür, den man meidet wie der Teufel das Weihwasser. Es ist doch auch viel schöner, wenn sich die Dreckwäsche im Zimmer stapelt und man dann abends lautstark lamentieren kann, dass man keine Socken mehr hat, weil ja alle Socken im Zimmer liegen und nicht im Wäschekorb. Komische Sache. Noch komischer ist, dass ich keine Teelöffel mehr in der Küche finden kann. Die liegen nämlich alle bei einem der Teenager im Bett. Ja, richtig. Ich hab hier zwei davon und das macht das Ganze so unglaublich lustig. Nein. Das macht das Ganze so unglaublich nervtötend.

Jeden Abend denke ich darüber nach, hemmungslose Alkoholikerin zu werden. Oder Profi-Wrestlerin. Oder Aussteigerin, in Neuseeland. Alaska klingt auch ganz toll. Da werden nämlich keine Türen geknallt, weil man doch tatsächlich sein Geschirr selbst in die Spülmaschine einräumen sollte. Oder weil man es wagt zu fragen, wie der Schultag so lief. Das ist immer hochexplosiv. Zumindest bei einem der beiden Pubertiere. Das andere erzählt nix. Hat seine Vorteile. Führt aber auch dazu, dass man morgens um 7.00 Uhr eine taiwanesische Flagge klöppeln muss, weil das für den Geografieunterrichte heute unermesslich wichtig ist. Könnte aber auch schon letzte Woche gewesen sein, keine Ahnung. Die Einladung zum Elternabend , der vor zwei Wochen stattfand, liegt noch ganz unten im Ranzen, bei der schimmeligen Mandarine. Gleich neben der Mathearbeit vom letzten Monat, die eigentlich schon lange unterschrieben sein sollte. Aber hey! Das Leben ist zu kurz für Schulbürokratie. Lang lebe die Revolution! Wenn die den Müll aus ihrem Zimmer runterbringen, landet der bei einem der beiden IMMER in der blauen Tonne. Das kann ich dann am nächsten Tag wieder rausfischen und umsortieren. Gestern Abend sagte ich, dass ich den Müll bitte nicht wieder in der Papiertonne finden möchte. „Okay.“ Ratet mal, wo er also folgerichtig lag? Genau! In der gelben Tonne. Da gehören Essensreste, durchlöcherte Socken, zerknülltes Papier und Taschentücher ja auch hin. Manchmal bin ich dankbar dafür, dass Atmung ein Reflex ist, sonst würden die das aus purer Faulheit auch noch einstellen. Denken hält sich ja gerade in Grenzen, spart Energie. Ich brauch Schnaps.

Und überhaupt! Teenager sind die besseren Hipster. Die besseren Millenials und Generation X kann gegen 13-jährige eh einpacken. Die wissen alles besser. Die können alles schon. Aber wenn der blöde Drucker im Büro nicht macht, was er soll, schrumpfen sie binnen Sekunden zu kleinen zornigen Trollen, denen man besser aus dem Weg geht. Die brauchen auch keine Schränke, die lassen ihre frisch gewaschene Wäsche fein säuberlich getürmt auf dem Schreibtisch stehen und nehmen sich da täglich weg oder lassen runterfallen und liegen. Tritt sich fest. Spart den Teppich. Wenn ich meinen Puls hochtreiben will, weil kein Kaffee mehr im Haus ist und ich nicht so richtig wach werde, fange ich ne Diskussion mit den Teenies an, provozierendes Schulterzucken inklusive. Spart drei Tassen. Wenn ich Töpfe suche, weiß ich wo die sind. Im Bett von einem der Teenager. Bislang konnte mir noch niemand schlüssig erklären, warum die da gelagert werden. Vielleicht ist hinterm Bücherregal ja eine Kochecke versteckt, von der ich nix weiß. Oder es ist eine Kunstaktion gegen die festgefahrenen Rituale des Alltags. Vielleicht verteidigen sie sich nachts damit gegen Zombies. Vielleicht sind sie aber auch einfach nur blitzblöde. Das wäre die beste Erklärung. Und die Schlechteste. Denn – wir waren doch irgendwie genauso – nur ohne Smartphones und Tablets. Ohne W-LAN und Hotspots. Wir waren genauso schlampig und haben alles stehen und liegen lassen. Haben Blödsinn verzapft. Wir hatten andere Hotspots, Apfelkrebse, die in der Schreibtischschublade vor sich hin schimmelten und Klassenarbeiten, die wir möglichst lange im Rucksack warten ließen. Wir waren unsere Kinder. Und die Pubertät ist Gottes Rache für alles, was unsere Eltern mit uns durchlebt haben. Oder auch nicht. Ich war total umgänglich! Hab nie was Blödes gemacht, keine Widerworte gegeben und mein Zimmer immer aufgeräumt. Ich schwöre.

Es ist aber auch total spannend ihnen beim Erwachsen werden zuzusehen. Ihren beginnenden Sarkasmus zu feiern und ihnen dabei zu helfen, ihren Weg zu finden. Ihnen peinlich zu sein ist genauso so schön. Ich hab mir nicht umsonst ein Justin Bieber-T-Shirt gekauft, dass ich zum Abholen von der Schule gerne trage. Ich bin 25 Jahre älter. Ich hab 25 Jahre Vorlauf im Mist bauen und Blödsinn verzapfen. Und ich habe noch ein paare Jahre Zeit, um den Teenagern so richtig auf die Nerven zu gehen. Auge um Auge. Zahn um Zahn. Das wird ein Spaß. Das Beste aber ist, dass ich hier noch drei Kleinkinder in der Pipeline habe, die zu Teenagern werden. Was ich bei den zwei Großen an Munition nicht verschießen kann, heb ich mir für die hier nachwachsenden Rohstoffe auf.

Ihr entschuldigt mich nun aber, ich muss meine Mutter anrufen und mich für die Jahre 1992 – 1999 entschuldigen.

Kinder sind Gremlins

Wisst ihr, wie toll es ist Kinder mit Rotznasen und Husten zu haben? Wenn die Kleinsten krank sind und alle deshalb schlecht schlafen? Dann treffe ich morgens blöde Entscheidungen – wie das noch müde Kleinkind vom Kindergarten abzumelden. Ach, die anderen beiden ja auch. Soll ja lustig werden. Klingt harmlos. Ist es aber nicht! Es entwickeln sich im Anschluss Situationen, die man nur kennt, wenn man so dämlich ist Gremlins nach Mitternacht zu füttern.

Einer der Zwillinge kotzt mein Müsli ins Wohnzimmer, als ich kurz im Bad bin. Wollte ich zwar essen, eignet sich aber wohl besser als Trittschalldämmung. Danach ziehen beide weiter in die Küche, um sich Alufolie um den Kopf zu wickeln, die der Papa in der morgendlichen Eile in durch Hocker stapeln erreichbarer Höhe auf der Arbeitsplatte liegen ließ. Zwilling 1 verreibt sich ständig den Nasenschnodder im Gesicht und auf dem Laminat und den Wänden und Zwilling 2 zieht überall Kabel raus und Nachttischlampen runter. Als ich den beiden in der Küche etwas zu trinken gebe, sitzt die Vierjährige derweil entspannt im Kinderzimmer unterm Tisch und schmiert alles mit Linola ein. Der Teppich dort wird nie wieder unter trockener Haut leiden.

Anschließend räumen die „Drillinge“ alles, wirklich alles, vom Kinderzimmer ins Wohnzimmer. Wie eine beschwipste Ameisenkolonie. Schleichtiere verursachen höllische Schmerzen, wenn man drauf tritt. Wusstet ihr das? Zwischen all dem Spielzeug finden sie blaue Kreide, die offenbar richtig gut schmeckt. „Braveheart“ haben sie zwar nie gesehen, aber die Visagisten könnten sich noch heute gute Tipps bei meinen Kindern holen.

Während ich mit den Zwillingen diskutiere, dass es doch einfacher wäre, das Spielzeug im dafür vorgesehenen Raum zu lassen, klettert die Vierjährige im Schlafzimmer über diverse Möbel, um an mein Mascara auf der hohen Kommode zu kommen und das Sofa im Wohnzimmer damit einzuschmieren. Es hat von nun an die schönsten Wimpern im gesamten Landkreis. Für immer. Geht nicht raus. Was soll’s. Passt nun wunderbar zu meinem ehemals cremefarbenen Bürostuhl, den jetzt expressionistische Werke zieren, die liebevoll mit Papas wasserfester Edding-Sammlung angebracht worden sind. Jackson Pollock würde applaudieren. Die Edding Marker standen übrigens auf dem höchsten Regal im Büro. Aber hey! Wenn man einmal die hohe Kommode im Schlafzimmer erklommen hat, ist das Regal überm Schreibtisch ein Klacks.

Kinder bereichern unser Leben, machen es bunter (oder schwarz wie mein Mascara von Lancôme) und schöner (sagt das Sofa). Ich kann mir ein Leben ohne Kinder gar nicht mehr vorstellen. Ich weiß auch gar nicht wie das ist ein sauberes Sofa und intakte Tapeten zu haben. Ist sicherlich langweilig, ne. Aber vielleicht machen die Monster (eh, Kinder) ja gleich Mittagsschlaf, dann kann ich kurz aufräumen (Schnaps trinken) und die Füße hochlegen (weg rennen).

Ich geh jetzt weinen.
Leise. In Embryonalstellung.
Unten neben der Waschmaschine, die heute bereits die dritte Runde läuft, weil die Bettwäsche die liebevolle Massage mit Schokolade nicht so gut verkraftet hat wie die Kleinsten vielleicht dachten.