Kniegelenkskaputtgeschichte, immer noch.

Teil 6 – Kneel down.

Mein Knie ist ein störrischer Esel. Und Physiotherapeut*innen sind Sadisten. Let‘s face it. Ich bin leidlich masochistisch veranlagt und gestehe daher: Ich gehe gerne zur Physiotherapie. Vermutlich aber auch, da ich weiß, dass es mir danach besser geht und ich einem funktionierenden Bein wieder ein Stück näher bin. Aber diese endlosen Minuten auf der Liege, in denen ich malträtiert werde und jaule, weil alles knackt und zieht und schmerzt, die sind SO UNFASSBAR GRAUSAM! Heute war ich das erste Mal bei einem anderen Therapeuten. Junge, Junge! Das war ein rasanter Hürdenlauf.

Zunächst einmal bin ich ein Weichei. Ein ganz furchtbares Weichei. Während der ersten Schwangerschaft habe ich überlegt, ob ich dieses Kind denn nun tatsächlich aus mir rauspressen muss oder ob ich es einfach dabei belassen könnte und auf ewig einen 1,50m Bauchumfang mit mir herumtragen könnte. Irgendwann wurde mir diese Entscheidung durch meinen verräterischen Körper, Hebammen und Ärzte abgenommen und ich hab so wahnsinnig geflucht und geheult und geschrien, bis ich mein erstes Kind geboren hatte. Nie wieder wollte ich solche Schmerzen haben! Wehen sind furchtbar! Hat zehn Jahre gehalten, dann hab ich Schlag auf Schlag nachgelegt. Naja.

Worauf ich aber hinaus will: Alter Schwede! Warum kann mein Körper Schmerzen empfinden? Muss das denn nun wirklich sein? Warum muss ich mir meine begrenzte Zeit in diesem Leben mit Schmerzen vertreiben. Das ist doch ein total blödes Konzept. Darüber sollte die Natur nochmal nachdenken.

Mein Knie ist aber nunmal mittelfrisch operiert und ich will wieder in Gang kommen, also muss ich Leid wohl in Kauf nehmen. Und ich habe so eine leise Ahnung, dass mein Physiotherapeut genau weiß, wo er mich pieken muss, damit ich unter Qualen und lautstark an der Decke klebe. Fies ist das. Und dann lacht der auch noch. Wusstet ihr, dass man sich die Muskeln im Fuß durch jahrelange Schonhaltung des Beines so verkrampfen kann, dass man quiekt, wenn der Therapeut genau da beginnt zu drücken? Und dann quiekt man (ich) nochmal, wenn der Schmerz langsam nachlässt. Und dann schreit man entrüstet: „Sie sind ein elender Sadist!“. Vielleicht hat im Wartezimmer jemand vor Lachen gegrunzt. Aber ganz sicher bin ich nicht. Eventuell war ich das selbst. Mein Therapeut jedenfalls hat sich gefreut und sich dann zielsicher den nächsten schmerzhaft verkrampften Muskelstrang geschnappt. Ich weiß nicht mehr wie viele Verwünschungen ich geäußert habe, es ist alles sehr unterhaltsam. Und man kann sich ja auch die Zeit vollumfänglich mit Schimpfen vertreiben, wenn man ich ist.

Kaum hab ich den einen Schrecken weggeatmet, jaule ich über die nächste Attacke. Kann der mal aufhören, mein Bein ständig anzuwinkeln? Die Kniescheibe muss auch nicht ständig vor- und zurückrudern, da bin ich mir ziemlich sicher. Das ist so schweißtreibend, man glaubt es kaum. Irgendwann zwischen dem Dehnen und Strecken und Pieksen und Foltern aber werden die verspannten Muskeln locker und die Gelenke beweglicher. Es ist kurios. Das Gefühl des nachlassenden Schmerzes, das sich durch den gesamten Körper zieht, ist eine Erlösung sondergleichen. Eine unbeschreibliche Erleichterung. Eine Freude. Wie nach einem erfolgreichen Schuhkauf. Oder einer Pizza. Mit Eis als Dessert. Und Käsenachos als Zugabe. Ich denk schon wieder an Essen. Zurück zum Knie. Dass der Therapeut „Bis zum nächsten Mal“ zum Abschied sagt und mein linkes Auge sofort danach zuckt, hat bestimmt nix zu sagen. Dass ich aber wie ein gesunder Mensch die Treppe heruntergehen kann, hat vermutlich schon damit zu tun, dass ich gerade eine halbe Stunde lang durch das Tal des Jammerns geschritten bin. Aber das verrate ich nicht. Ich war ganz tapfer. 

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Kniegelenkskaputtgeschichte – aua.

Teil 5 – Let‘s get physical.

Das Offensichtliche zuerst: Physiotherapie, also meine Physiotherapie, ist offensichtlich Quälerei. Denn die Praxis liegt im ersten Stock, ohne Fahrstuhl. Aber mit hübscher Wendeltreppe. Seit dem Aufwachen überlege ich wie ich schadlos die Stufen hochkomme. Das wird noch spannend. Vielleicht bleib ich auch unten im Flur stehen und fuchtel wild mit den Gehhilfen herum. Die erste Herausforderung wartet aber auf mich, ehe ich überhaupt in die Nähe der Treppe komme. Ausgerechnet heute wurde die Hecke entlang des Zugangsweges entfernt und der gesamte Weg liegt voller Äste. Die Arbeiter schauen ganz interessiert zu wie ich mich da durchkämpfe. Fühle mich wie Lara Croft. Oder ein torkelnder Pinguin. Sucht es euch aus. Einer der Mitarbeiter der Praxis steht gerade vor der Eingangstür und beobachtet ganz fasziniert, wie ich mich mitsamt Gehhilfen die Stufen hochheddere. Ich bin heute 1a Anschauungsmaterial.

Nach der Eingangstür kommt die Wendeltreppe und als ich die unter erheblichen Wirksamkeitseinbußen meines Deos erklommen habe, verkünde ich nach Betreten der Praxis, dass ich hiermit eine Einheit Physiotherapie schon hinter mich gebracht habe. Grillenzirpen. Die Sprechstundenhilfe guckt verwirrt hinter der Plexiglasscheibe vor und nebenan springt gerade ein Kaffeeautomat an. Schön. Ich schnaufe. Ich hyperventiliere. Ich fülle meinen Patientenbogen aus und darf mich dann auf eine Liege legen.

Ich sag euch, Physiotherapie ist schlimmer als Schlussverkauf im Woolworth. Das schmerzt wie Hölle! Da stellt die Therapeutin einfach mal fest, dass ich mein Bein nicht komplett strecken kann und bearbeitet es so, dass ich mich zum Schmerz wegatmen an die Atemübungen aus dem Geburtsvorbereitungskurs erinnere, den ich nie besucht habe. Wie lange dauern eigentlich dreißig Minuten? Warum sind die Vorhänge gestreift und der Bezug der Liege nicht? Hab ich am Eingang meine Hände desinfiziert? Und wie bin ich nochmal die Treppe hochgekommen? Ok, davon streckt sich mein Bein leider auch nicht durch. Es zieht. Ich verziehe das Gesicht. Die Therapeutin drückt. Beugt. Drückt. Massiert das Bein. Ich jaule leise. Die halbe Stunde ist vorbei und ich fühle mich, als hätte ich drei Wochen Bootcamp hinter mir. Nächste Woche geht es weiter und ich frage mich, ob mir meine Mama eine Entschuldigung schreibt.

Die Treppe herunterzuhumpeln ist wesentlich einfacher als hochzuschnaufen, man glaubt es kaum. Die Äste auf dem Gehweg sind weg. Wo bleibt denn da die Herausforderung? Dafür steht da jetzt ein Bagger. Und an dem kämpfe ich mich ähnlich schwungvoll vorbei wie Indiana Jones sich einst durch den Tempel des Todes. Weil es noch dauert bis ich abgeholt werde, holpere ich hochmotiviert zur Praxis meiner Hausärztin 100 Meter weiter. Himmel, Arsch und Zwirn, ist das weit! Ich hab das Schreiben vom Chirurgen noch im Rucksack, das ich bei ihr abgeben möchte und weil ich grad einen Lauf hab, lasse ich am Tresen meine Gehhilfen beidseitig von mir wegfallen. Das Aufheben macht dann doppelt Spaß. Immerhin hab ich das jetzt auch erledigt, den Brief abgeben, nicht das Gehhilfen aufheben. Das mach ich ständig. Ich reiß damit auch Bilder von der Wand und Gläser vom Tisch. Die Dinger sind wahre Alleskönner. Herrlich. Sollte jeder mal probieren. Fünf von fünf Sternen.

Trotz allem Jammer, meinetwegen auch Gejammer, werde ich wohl in ein paar Tagen wieder zur Physiotherapie gehen und bis dahin meine Hausaufgaben machen: Bein durchstrecken, schnaufen, nochmal durchstrecken. Toll. Vielleicht ist mein Bein aber auch einfach nur eingegangen, wie meine Strickjacke im Trockner und ist deshalb geknickt. Ich weiß es nicht. Vielleicht hilft das Gequäle ja doch. Und dann brauch ich irgendwann die waffenscheinfähigen Unterarmstützen in lilaglänzend-schwarz wahrscheinlich nicht mehr. Ein Jammer.

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