Infektbingo

Kennt ihr Infektbingo? Das ist unter Eltern ein wahnsinniges beliebtes Spiel in der Zeit von Herbst bis Frühjahr, eigentlich ganzjährig, aber manchmal wird im Sommer pausiert. Aber wer weiß das schon genau. Infektbingo ist im Grunde dasselbe wie „Der Boden ist Lava“, nur dass die Lava aus Keimen und Viren besteht und niemand bei Drei die Füße vom Boden hat und es jeden jederzeit erwischen kann. Und wird. Ist das nicht toll?

Wir gewinnen dieses Spiel seit dem Herbst durchgehend. Da macht uns niemand den ersten Platz streitig. Wir schreien immer ganz laut „Hier!“ und dann ist die Scheiße auch schon wieder am Dampfen. Früher sah man beim Bringen oder Abholen der Kinder weiße Zettel an den Türen des Kindergartens kleben, auf denen die neueste Bingolosung verkündet wurde. Heute, meldet die Kita-App das täglich neueste Höllenfeuer und ich warte fasziniert auf erste Symptome bei meinen Kindern. Ich fühle mich beinahe wie die völlig ramponierte und in Vergessenheit geratene Schwester von Indiana Jones. Ich jage keine verlorenen Schätze. Ich sammle Punkte auf der Karte. Und meine ist voll. BINGO!

In der Kita-App steht Hand-Mund-Fuß. Meine Kinder bekommen Ausschlag.

In der Kita-App steht Läuse. Meine Kinder kratzen sich beim Abholen am Kopf.

In der Kita-App steht Magen-Darm. Meine Kinder haben Bauchschmerzen beim Abholen.

In der Kita-App steht Influenza. Meine Kinder fangen in der Nacht an zu fiebern.

In der Kita-App steht Covid-19. Guess what.

Heute Morgen kam ein neuer Mitspieler dazu: Pfeiffrisches Drüsenfieber. Ich sag mal so: Nein, danke. Wir bleiben jetzt einfach mal zu Hause und lassen diesen Bonus-Kelch an uns vorbeigehen. Das wirft uns vielleicht im Rennen um den diesjährigen Infektpokal zurück, aber man kann nicht alles haben im Leben. Ich entscheide mich gegen das Pfeiffrische Drüsenfieber und für Ausschlag an allen Kindern. Als ob ich eine Wahl hätte. Könnt ihr mein hysterisches Glucksen hören?

Wer allerdings glaubt, dass der Spaß aufhört, wenn die Kinder in die Schule kommen, hat den Infektreigen dort noch nicht erlebt. Die Klassen in der Grundschule hier im Ort laufen kontinuierlich in Unterbesetzung – auf Schüler:innen- und Lehrer:innenseite. Der Vertretungsplan vom Gymnasium ist umfangreicher und aktueller als die Eilmeldungen im Fernsehen. Ich sag’s euch. Wenn du Kinder hast, ist dein Haushalt irgendwann besser bestückt als die Apotheke zwei Orte weiter. Dr. Google ist dein bester Freund und der Kinderarzt und der Kassenärztliche Notdienst sind auf Kurzwahl.

Das ist alles reichlich glamourös, ich weiß. Wenn du dann noch versuchst mit kranken Kindern im Homeoffice zu arbeiten – die Königsdisziplin – dann hast du den diamantbesetzten Gipfel der Elternschaft erreicht. Und fällst mit Anlauf drüber und purzelst volles Volley runter. Wie John Wick beim Versuch die 237 Stufen zur Sacre Coeur in Paris zu Erklimmen. Der Treppensturz war äußerst schmerzhaft anzusehen. Stellt euch einfach vor, die ganzen Profikiller, die euch für das enorm hohe Kopfgeld umbringen wollen, sind die Kindergartenviren. Und ihr seid John Wick. Das ist der beste Vergleich, der mir jemals einfiel. DER BESTE! Ihr kämpft euch das ganze verdammte Jahr an diesen Killern vorbei die Stufen hoch zur Scare Coeur. Und kurz vor dem Weihnachtsurlaub steigt am oberen Ende der Treppe, der fieseste Killer von allen aus und ruft: „ICH BINS! DAS ROTAVIRUS!“ Und ihr fallt scheppernd alle Stufen wieder hinunter. 237 Steinblöcke hinab. Und wenn ihr dann unten angekommen seid, dann geht der ganze Scheiß von vorne wieder los.

Was ich eigentlich sagen will: „John Wick – Kapitel 4“ ist der beste Actionfilm, den ich je sehen durfte. Einhundertsiebzig perfekt choreographierte Minuten Action. Wie ein ganz normales Infektbingo-Kita-Jahr. Großartig.

Kniegelenkskaputtgeschichte – nevermind.

Teil 4 – Anwinkeln, Strecken.

Wie viele Kalorien verbrennt man eigentlich auf der Bewegungsschiene? Lohnt sich das überhaupt als Ausdauersport zum Abnehmen? Und zählt Geschenke einpacken als Krafttraining? Ist der schleppende Gang zum Kühlschrank Kurzstrecke oder Langstrecke? Mach ich da was für meine Kondition? Wie zählen die Schritte, wenn ich mit Gehhilfen rumstochere? Und zählen die Schritte überhaupt, wenn ich keinen Schrittzähler trage? Warum geht die Sonne so schnell auf und so schnell unter und was hab ich währenddessen getan? Bin ich wieder ein Stück weit genesen? Und warum stelle ich so viele Fragen?

Mein Alltag ist derzeit sehr einfach und sehr strukturiert. Ich fühle mich wie ein dickes, glückliches Faultier. Die größte Herausforderung des Tages ist meine Thrombosespritze am Morgen. Die angele ich mir vom Kleiderschrank, dann seh ich sie ehrfürchtig an und begutachte anschließend die schöne Rolle Speck unterm Bauchnabel und überlege wo ich heute zusteche. Wie eine fiese Mücke. Wenn ich das geschafft habe, brauche ich erstmal eine Pause. Dann überlege ich wie ich an eine Tasse Kaffee kommen könnte. Die Zubereitung ist nicht das Problem. Ich hab inzwischen ein starkes linkes Standbein. Aber wie transportiere ich die Tasse ohne Schäden zum Bett? Oder überhaupt zwei Schritte weit, ohne den Boden in Arabica einzufärben? Jetzt beim Schreiben fällt mir auf, dass ich dafür ja meinen auslaufsicheren Thermobecher nutzen könnte! Ich bin so schlau. Nach tagelangem Grübeln fällt mir eine Lösung ein. Man sollte mich in Krisenstäbe berufen, ich wäre die ideale Besetzung.

Die erste sportliche Großleistung des Tages ist das Aufstellen der Bewegungsschiene und die erste halbe Stunde Anwinkeln, Strecken, Anwinkeln, Strecken. Ich träume inzwischen davon. Es hat aber auch etwas seltsam Entspannendes, das Bein dort hinein zulegen und zuzusehen wie es sich ohne mein Zutun stetig bewegt. Schöne Sache. Wenn ich es im Anschluss dann noch geschafft habe, ohne Komplikationen auf den Duschhocker zu plumpsen und das Wasser aufzudrehen, bin ich ein sehr glückliches, altes Mädchen. Aber der eigentlich Kick kommt noch, wenn ich wieder aus der Dusche heraus will. Die ist nicht ebenerdig – und sagen wir mal so, die Beschreibung weiter Teile meiner Vorgehensweise beim Verlassen der Dusche, würden euch alle nur verunsichern, also lassen wir das.

Danach könnte ich ein, zwei Tafeln Schokolade essen, aber der Weg zum Schrank im Esszimmer ist mir zu weit. Krasse Diätstrategie. Also such ich mir einen Zombie- oder Pandemiefilm heraus (alles das gleiche) und beruhige mein Gemüt. Währenddessen denke ich an Schokolade. Das Leben ist schön. 

Ab einem gewissen Zeitpunkt ist der Hunger aber schon nervig und ich Fuchs hänge mir einen Stoffbeutel um und wackele damit Richtung Kühlschrank. Kennt ihr den Film „Ab durch die Hecke?“ Ich bin der Waschbär Richie, immer auf der Suche nach dem nächsten großen Happen. Und das bunkere ich alles in meinem Beutel und wandere sehr zufrieden damit zurück zum Bett. Ich sage euch, von außen betrachtet muss das ein Schauspiel sein und ich habe dabei immer die Titelmelodie von Rocky im Kopf. Nur auf den Sprung am Ende des Weges verzichte ich momentan noch. Könnte blöd ausgehen.

Nach zwei weiteren straffen Einheiten im Trendsport „Anwinkeln – Strecken – Anwinkeln“, habe ich den Tag recht erfolgreich abgeschlossen, richte meinen Thrombosestrumpf und wechsle unfassbar elegant von Jogginghose zu Pyjama. Besoffene Otter sind meine größten Fans. Die Gehhilfen habe ich dabei durchschnittlich dreimal umgeworfen (das Tagesmittel liegt bei 15) und fluchend wieder aufgehoben. Es ist alles sehr poetisch. Vögel zwitschern und Häschen stecken sich verträumt Blumen hinter die Ohren. Das könnt ihr mir glauben. Vielleicht liegt es auch an den Schmerzmitteln. Wer weiß das schon. Vielleicht drehe ich auch einfach langsam durch, weil ich ein furchtbar ungeduldiger Mensch bin und so eine Genesung halt dauert. Aber zurück zum eigentlichen Punkt: Wie viele Kalorien hab ich denn jetzt auf der Bewegungsschiene verbrannt? 

Kniegelenkskaputtgeschichte again.

Teil 2 – Einmal Narkose bitte.

Über Nacht hat es geschneit. Warum? Ich darf nix trinken und versäume den ersten Kaffee des Tages. Aber heute ist es endlich soweit und ich hab leichte Panik. Auf dem Weg zur Unfallchirurgie schmerzt mein Knie, als wolle es mir sagen: „Zeit wird‘s!“ Hunger hab ich. Und Durst. Aber dieses Konzept nüchtern zur OP zu erscheinen, macht mir einen Strich durch die Rechnung. Dafür waren die Kinder schlecht drauf und haben gemault. Das war auch schön. Kann also nur besser werden.

Als ich dann kurz vor dem OP Zentrum warten muss und es einfach nur still ist, ist das das schönste Geräusch überhaupt. In Kürze schlafe ich einfach weiter und das macht den Tag – trotz latenter Skalpell-Panik – noch ein bisschen grandioser. Die MitarbeiterInnen helfen mir super durch den Check-In. Ich bekomme ein sehr hübsches OP-Hemd an und schwarze Thrombosestrümpfe. Das ist schon alles ganz stylish, muss ich zugeben. Im Vorbereitungsraum wird mir eine Flexüle gelegt, aber ich bekomme das alles gar nicht mit, weil ich währenddessen auf einem Großbildschirm eine Dokumentation über das Leben am Kongo sehen kann. Da die Schulter-OP vor mir etwas länger dauert, kann ich auch noch die Tierwelt entlang der Elbe bestaunen. Bevor die nächste Doku anläuft, bringt mich eine der OP-Schwestern dann aber rüber in den Operationssaal. Und jetzt ist hier Kirmes. Ich sag’s euch, mein Puls macht sich vor Aufregung selbstständig. Und langsam merke ich, dass es jetzt echt los geht. Mama wird operiert.

Ich bekomme eine Kehlkopfmaske übergestülpt und stelle mich selten blöd beim ein- und ausatmen an. Die Maske saugt sich ganz komisch fest und ich hab das Gefühl, dass da gar nix ankommt. Plötzlich riecht es nach einem 1a-Chemielabor beim einatmen, der Anästhesist sagt zur mir noch: „Schlafen Sie schön.“ – und ich denke so: „Ach guck, Ernie und Bert auf der OP-Haube.“ und weg bin ich. Als ich aufwache, werde ich in den nächsten schönen Raum geschoben, wo beruhigende Landschaftsaufnahmen in Dauerschleife laufen. Und ehe ich was sagen kann, werden mir Kaffee und ein Käsebrötchen serviert. Leute, daran könnte ich mich gewöhnen.

Ich verteile ganz selig Komplimente an alle, die hübsche OP-Hauben tragen und das ist hier so ziemlich jeder. Als der Chirurg zur Nachbesprechung kommt, mir erklärt, dass ich in zwei Tagen eine Bewegungsschiene nach Hause bekomme und in einer Woche die Physiotherapie beginnt, bin ich schon fast wieder richtig wach. Dann sagt er den kleinen, schönen Satz: „Ich hab‘s in Ordnung gebracht.“ Wisst ihr, was das nach jahrelangen Schmerzen bewirken kann? Dieser kurze Satz, der so viel Hoffnung auf Besserung macht? Wahnsinn. Wenn die Heilung jetzt gut klappt und ich wieder richtig Fuß fassen kann, dann bin ich mehr als glücklich. Wenn die Schmerzen im Knie weniger werden, die Hüfte nicht mehr durch die Schonstellung zu stark belastet wird und auch weniger schmerzt, dann wäre das alles ganz wunderbar. 

Ich habe die Schmerzen im Knie über Jahre ignoriert. Die gehörten halt dazu. Als ich mir dann aber im Sommer erst eine Bänderzerrung und dann den finalen Schuss ins Knie dank eines Legosteins zuzog und die Schmerzen sich übers Knie bis in die Hüfte verlagerten, meine Hausärztin mich wohlweislich an einen Unfallchirurgen überwies, der ein MRT anordnete, dann dicke Backen machte, als er das Ausmaß des Schadens auf den Aufnahmen sah und mir klipp und klar sagte, dass ich mit diesen Traumata im Gelenk eigentlich gar nicht mehr laufen können dürfte, wurde mir klar, was für einen Raubbau ich an meinem Körper veranstaltet habe. Über Jahre. Weil alles und jeder wichtiger war als ich. Und damit bin ich mit Sicherheit nicht allein. 

Sei mal ehrlich zu dir selbst: Du kümmerst dich um deine Kinder, deine Familie, deinen Job. Du arbeitest Wäsche und Einkäufe ab. Machst Hausaufgaben mit den Kindern. Gehst auf Elternabende und Versammlungen. Koordinierst Arzt- und Therapietermine. Räumst auf, kochst, machst den Abwasch und fängst von vorne an. Und wenn du dann noch versuchst deine Ehe instandzuhalten, ohne dass dir dabei irgendwie geholfen wird… aber ich schweife ab. Was ich sagen will: man verliert sich im Alltag. Man hat alles Blick, nur nicht sich selbst. Und das ist fatal. Das lerne ich gerade aus so vielen Dingen, die in den letzten Monaten passiert sind. Das begreife ich Stück für Stück. Und deshalb hab ich auch an vielen Stellen die Reißleine gezogen, weil ich mich sonst selbst verliere. Und dann bin ich auch keine gute Mutter mehr. Dann bin ich nur noch ein Scherbenhaufen. Die ersten heftigen Risse sind schon da, aber die kann ich vielleicht wieder kitten. Mal sehen.

Am Ende ist das hier gar nicht mal die Geschichte, eines kaputten Knies, sondern vom Erodieren der eigenen Gesundheit, weil man zu wenig Acht gibt auf sich selbst. Und das ist doch scheiße.

Ich weiß nicht mal, wann das passiert ist, dass mein Außenmeniskus zerfetzt wurde. Ich hab es nicht mitbekommen! Es muss schon länger her sein, denn durch einen losgelösten Muskellappen (das klingt so eklig), der sich zwischen die Knochen geschoben hat, hat sich der Knorpel im Kniegelenk in Wohlgefallen aufgelöst. Und das muss doch zu irgendeinem Zeitpunkt schmerzhaft gewesen sein, oder nicht? Und ich habe das nicht mitbekommen, weil ich zu beschäftigt war! Das Leben ist doch manchmal nicht zu fassen!

Wie dem auch sei (was ist das eigentlich für ein bescheuerter Satz!), ab morgen hänge ich mein Bein in eine Bewegungsschiene und das ist doch auch Sport. Womit wir wieder beim Abnehmen wären. Und damit verabschiede ich mich erstmal. Tschüss.

Legosteine.

Ich erhalte öfter Nachrichten, dass der oder die eine oder andere gerne bei uns mal Mäuschen spielen würde. Um Himmels Willen! Nein! Ihr brecht euch sämtliche Knochen! Ihr klebt am Laminat fest oder rutscht aus. Häuser, in den kleine Kinder leben, sind mörderische Fallen. Nicht für die Kinder. Für die Eltern. Ausgebildete Agenten wären binnen fünf Minuten außer Gefecht gesetzt. Bleibt also mal schön in euren sicheren Wohnungen und Häusern.

Es ist wirklich nicht ohne, sich einen Haushalt mit Nachwuchs zu teilen. Das ist nicht ungefährlich. Es ist laut, bunt, unordentlich, voller Liebe, voller Streit und Missverständnissen. Voller Lachen und Weinen, Gummibärchen und Spaghetti. Es ist jeden Tag aufs Neue eine Büchse der Pandora, die irgendjemand schon vor dem ersten Kaffee öffnet.

Eines hat jeder Tag mit den anderen gemein: du wirst niemals das Chaos beherrschen. Es beherrscht dich. Für immer. Die pastellfarbenen, pampasgrasdekorierten Instagramwelten, in denen Mütter in klinisch sauberen, glänzenden Küchen Muffins und vierstöckige Torten backen und auf Tischen mit Platzsets aus Leinen anrichten, sind Träume! Das wird niemals passieren. Vergiss es einfach! Denn spätestens wenn du die Muffins zum Tisch bringen willst, fliegt unter lautem Gebrüll eine Actionfigur durchs Esszimmer und reißt dein Gebäck mit ins Verderben. Been there. Done that.

Egal wie oft du selbst Spielzeug wegräumst oder deine Kinder anhältst das zu tun, es bleibt immer Spielzeug liegen. Immer. Und das kann so unglaublich gefährlich werden. Gut, ich verneige ich mich inzwischen auch vor der Korrelation steigendes Elternalter zu Spielzeugunfällen. Aber ich bin sicherlich nicht die einzige Mutter auf der Welt, die dank des Spieltriebs ihrer Kinder zur Invalidin wird.

Ich habe meinen Mann schon häufig in der Küche oder dem Esszimmer semi-elegant grätschen sehen, wenn er kleine, feine Pfützen Wasser übersehen hat, die die Kinder durchs Haus haben tropfen lassen, weil sie im Kinderzimmer heimlich eine Strandbar für die Barbies eröffnet hatten. Spagat hat er inzwischen drauf. Fluchen und davon humpeln auch. Das können wir beide inzwischen gut. Aber nach fast zwei Jahrzehnten gemeinsamer Elternschaft ist das auch der geringste Anspruch, den ich an uns stelle. Fluchen mindert zwar die Unfallgefahr nicht. Es hilft allerdings Schmerzen zu veratmen. Ich schwöre.

Jeder und jede kennt den Schmerz, den Legosteine und Barbieschuhe verursachen, wenn man nachts barfuß drauf tritt. Wenn du innerlich schreist, um niemanden zu wecken, dir ein Tränchen aus dem Auge kullert. Das wird an sich ja nur noch getoppt, wenn du in der sicheren Dunkelheit deines Zuhauses auf eine Reißzwecke trittst. Das ist schön!

Wenn die drei kleinen Chaoten hier in ihren Zimmern wieder „The Day After Tomorrow“ oder „Armageddon“ gespielt haben, schiebe ich mir vor Einbruch der Nacht gerne eine Schneise durch das Bodendekor, um halt nicht schmerzhaft überrascht zu werden.

Blöd wird es aber, wenn deine Kinder in der Küche auf der einzigen Treppenstufe dort mit LEGOSTEINEN spielen und du mit einem Korb voller Wäsche um die Ecke kommst, diesen verfluchten gelben Stein nicht siehst und den Sturz deines Lebens hinlegst. Ich habe einen Salto geschlagen, sagt die Überlieferung. Ich habe Sterne gesehen. Und das dienstälteste Kind hat erstmal erschrocken nach offenen Brüchen an meinen Beinen gesucht, nachdem ich mich weinend und schreiend und leicht benommen wieder auseinandergepuzzelt hatte. Ich hatte meinen Meniskusfraktur seit Jahrzehnten gut im Griff. Jetzt warte ich die nächsten vier Wochen auf einen MRT-Termin, der das Ausmaß der neuerlichen Katastrophe ans Licht bringen soll, und hinke derweil übelgelaunt wie ein Pirat durch die Welt. Kennt man ja.

Wisst ihr, was mein kleiner, süßer Sohn in der Zwischenzeit macht? Er läuft vor mir her und streut wie ein Engel Legosteine aufs Parkett!

Ruhe.

Meine Ärztin schimpfte vor einiger Zeit mit mir, dass ich schon früher hätte kommen sollen, so eine stark vereiterte Angina hätte sie noch nie gesehen. Also gab es eine siebentägige Penicillinkur und Ruhe verordnet. Ruhe. Mit Kindern. Im Haus. Kennt ihr?

Ru·he

Rúhe/ Substantiv, feminin [die]

1a. [fast völlige] Stille; durch keine Geräusche o. Ä. gestörter Zustand
„eine wohltuende, friedliche Ruhe“

Ich fuhr mit den besten Absichten nach Hause. Als ich mir dort – zum gesund werden oder Nerven beruhigen (wer weiß das schon) – einen Tee kochte, nutzten die Zwillinge die Zeit, um im Klo zu spielen. Nicht im Bad, an der Toilette. In der Nähe davon. Nein, IM Klo. Mit den Armen drin und Wasserspritzern bis an die Decke. Lautstark protestierende Kinder duschen und das Bad sauber machen entspannen ungemein, müsst ihr wissen. Das muss diese Ruhe sein von der alle reden. Wenn du versuchst in einem heillosen Chaos klarzukommen, merkst du auch gar nicht wie stark das Halsweh ist und wie schlimm die Kopfschmerzen gegen die Schädeldecke hämmern. Krank sein mit Kindern ist unglaublich idyllisch. Licht und Liebe. Und Vogelgezwitscher.

Kurze Zeit später kämpften die jüngeren Schwestern um einen neuen Paw Patrol-Badeanzug. (Warum sich in diesem Haus nur ein Paw Patrol-Badeanzug befindet, entzieht sich meiner Kenntnis. So doof kann ja keiner bei mehr als einem Kind im Haushalt sein.) Die Jüngste verlor. Als Konsequenz schubste sie den unbeteiligten Bruder um. Ruhe potenziert. Um die Gemüter zu beruhigen, teilte ich Lollis aus. Der Frieden währte satte drei Minuten, schätzungsweise. Ein Lolli war offensichtlich bunter als der andere. Also wurde diese himmelschreiende Ungerechtigkeit erneut ausgekämpft. Die Jüngste verlor. Schon wieder. Zum zweiten Mal hintereinander. Und jetzt war ich schuld. Logisch. Das Kind war sauer auf mich und brüllte. Unterdessen tappste der Sieger zufrieden mit seiner Kriegsbeute davon, um kurz darauf mit einem Lolli im Haar schreiend wiederzukommen. Also Haare waschen – unter Quietschen und Kung Fu.

Richtig „leise“ wurde es, als ich den haarigen Lolli in den Müll warf. Wie konnte ich nur! Der war noch gut! Mama! Da sich jetzt zwei Kinder in einem nervlich völlig desolaten Zustand befanden, warfen sie sich gemeinsam jammernd auf mein Sofa, auf dem ich eigentlich liegen und gesunden sollte. Eine kleine Lady durchkreuzte singend im Badeanzug die Szenerie und den Kindern fiel unisono ein, was sie wollten: Paw Patrol gucken! Und plötzlich war… Ruhe! Kennt ihr?

Und der Tee, den ich mir gekocht hatte, war kalt.

Ru·he

Rúhe/ Substantiv, feminin [die]

1b. das Aufhören der Bewegung; Stillstand
“das Pendel ist, befindet sich in Ruhe. Stillstand“

Sonntag

Gestern Nachmittag schrieb mir eine Kollegin, ich solle das Wochenende genießen und mich entspannen . Hab ganz liebenswert gelogen und „Mach ich!“ geantwortet. Warum? Weil es scheinbar Common Sense ist, dass Mama sich zwischen dreckigem Geschirr, Krümeln unterm Sofa und Wäschebergen an den Wochenenden wunderbar entspannen kann. Eine kleine Wutrede:

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Corona. Chaos. Cola. Chips.

Na, liebe Eltern, wie geht es euch? Seid ihr auch so unglaublich tiefenentspannt wie ich nach drei Monaten Homeoffice, Homeschooling und Heimbetreuung quirliger, kleiner liebenswerter Kindergartenkinder? Habt ihr auch jede, wirklich jede Facette des integrativen Familien- und Arbeitslebens so schätzen und lieben gelernt wie ich? Möchtet ihr jetzt auch gerne mal für ein paar Tage in die Berge fahren und Steine anbrüllen? Ja? Nein? Ja.

Junge, Junge, was war ich naiv, als am 13. März 2020 (ein Freitag, wie passend) verkündet wurde: „Hallo Leute! Wir machen Schulen und KiTas dicht wegen Corona und kleiner Virenschleudern. Ihr packt das schon. Tschüss!“ Was haben wir Muttis im Büro gelacht. Endlich Homeoffice! Was haben wir gelacht. Lockdown. Homeoffice. Jogginghose. Das wird prima. Hahaha.

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Ach komm, das wird gut.

Kindertag mit Kindern.

In Thüringen haben wir seit diesem Jahr das Privileg, den Internationalen Kindertag als Feiertag begehen zu können. Arbeitsfrei, schulfrei, kindergartenfrei. Und damit fängt das Dilemma schon an. Denn Feiertage und Wochenenden haben die blöde Angewohnheit, meinen Mann im Internet nach Festen und Veranstaltungen suchen zu lassen, die man mit den Kindern besuchen könnte. Das wird toll! Da gibt es bestimmt auch Hüpfburgen. Lass uns mal die Kinder einpacken und losfahren. Und mit der Zielgenauigkeit eines Trüffelschweins, findet er genau die Veranstaltungen, nach denen mein Nervenkostüm notgerodet werden muss. Und ich weiß das immer schon genau dann, wenn er mir sagt, dass wir heute doch nach Kleinklappersdorf fahren könnten, da wäre ein Kinderfest und da wäre bestimmt was für die Kinder dabei. Fein.

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Wir waren heute duschen.

Das mache ich nie wieder! Eine Leidensgeschichte in 53 Akten bei strahlendem Sonnenschein und sehr viel Geschrei. Sehr viel Geschrei. Hier gehts lang:

Freitagmittag rief mich mein Mann an, um mir mitzuteilen, dass der Motor unserer Heizungsanlage ausgefallen sei und die Ersatzteile nicht vor Montag lieferbar seien. Nichts, wirklich nichts schreit lauter „Hallo, du Drüsengünther! Ich bin’s, Freitag, der 13te!“ als eine kaputte Warmwasserversorgung und die Aussicht auf fünf stinkende Kinder. Nichts. Dass das richtig schön werden würde, hab ich da irgendwie schon geahnt.

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