Kniegelenkskaputtgeschichte, immer noch.

Teil 6 – Kneel down.

Mein Knie ist ein störrischer Esel. Und Physiotherapeut*innen sind Sadisten. Let‘s face it. Ich bin leidlich masochistisch veranlagt und gestehe daher: Ich gehe gerne zur Physiotherapie. Vermutlich aber auch, da ich weiß, dass es mir danach besser geht und ich einem funktionierenden Bein wieder ein Stück näher bin. Aber diese endlosen Minuten auf der Liege, in denen ich malträtiert werde und jaule, weil alles knackt und zieht und schmerzt, die sind SO UNFASSBAR GRAUSAM! Heute war ich das erste Mal bei einem anderen Therapeuten. Junge, Junge! Das war ein rasanter Hürdenlauf.

Zunächst einmal bin ich ein Weichei. Ein ganz furchtbares Weichei. Während der ersten Schwangerschaft habe ich überlegt, ob ich dieses Kind denn nun tatsächlich aus mir rauspressen muss oder ob ich es einfach dabei belassen könnte und auf ewig einen 1,50m Bauchumfang mit mir herumtragen könnte. Irgendwann wurde mir diese Entscheidung durch meinen verräterischen Körper, Hebammen und Ärzte abgenommen und ich hab so wahnsinnig geflucht und geheult und geschrien, bis ich mein erstes Kind geboren hatte. Nie wieder wollte ich solche Schmerzen haben! Wehen sind furchtbar! Hat zehn Jahre gehalten, dann hab ich Schlag auf Schlag nachgelegt. Naja.

Worauf ich aber hinaus will: Alter Schwede! Warum kann mein Körper Schmerzen empfinden? Muss das denn nun wirklich sein? Warum muss ich mir meine begrenzte Zeit in diesem Leben mit Schmerzen vertreiben. Das ist doch ein total blödes Konzept. Darüber sollte die Natur nochmal nachdenken.

Mein Knie ist aber nunmal mittelfrisch operiert und ich will wieder in Gang kommen, also muss ich Leid wohl in Kauf nehmen. Und ich habe so eine leise Ahnung, dass mein Physiotherapeut genau weiß, wo er mich pieken muss, damit ich unter Qualen und lautstark an der Decke klebe. Fies ist das. Und dann lacht der auch noch. Wusstet ihr, dass man sich die Muskeln im Fuß durch jahrelange Schonhaltung des Beines so verkrampfen kann, dass man quiekt, wenn der Therapeut genau da beginnt zu drücken? Und dann quiekt man (ich) nochmal, wenn der Schmerz langsam nachlässt. Und dann schreit man entrüstet: „Sie sind ein elender Sadist!“. Vielleicht hat im Wartezimmer jemand vor Lachen gegrunzt. Aber ganz sicher bin ich nicht. Eventuell war ich das selbst. Mein Therapeut jedenfalls hat sich gefreut und sich dann zielsicher den nächsten schmerzhaft verkrampften Muskelstrang geschnappt. Ich weiß nicht mehr wie viele Verwünschungen ich geäußert habe, es ist alles sehr unterhaltsam. Und man kann sich ja auch die Zeit vollumfänglich mit Schimpfen vertreiben, wenn man ich ist.

Kaum hab ich den einen Schrecken weggeatmet, jaule ich über die nächste Attacke. Kann der mal aufhören, mein Bein ständig anzuwinkeln? Die Kniescheibe muss auch nicht ständig vor- und zurückrudern, da bin ich mir ziemlich sicher. Das ist so schweißtreibend, man glaubt es kaum. Irgendwann zwischen dem Dehnen und Strecken und Pieksen und Foltern aber werden die verspannten Muskeln locker und die Gelenke beweglicher. Es ist kurios. Das Gefühl des nachlassenden Schmerzes, das sich durch den gesamten Körper zieht, ist eine Erlösung sondergleichen. Eine unbeschreibliche Erleichterung. Eine Freude. Wie nach einem erfolgreichen Schuhkauf. Oder einer Pizza. Mit Eis als Dessert. Und Käsenachos als Zugabe. Ich denk schon wieder an Essen. Zurück zum Knie. Dass der Therapeut „Bis zum nächsten Mal“ zum Abschied sagt und mein linkes Auge sofort danach zuckt, hat bestimmt nix zu sagen. Dass ich aber wie ein gesunder Mensch die Treppe heruntergehen kann, hat vermutlich schon damit zu tun, dass ich gerade eine halbe Stunde lang durch das Tal des Jammerns geschritten bin. Aber das verrate ich nicht. Ich war ganz tapfer. 

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Kniegelenkskaputtgeschichte – aua.

Teil 5 – Let‘s get physical.

Das Offensichtliche zuerst: Physiotherapie, also meine Physiotherapie, ist offensichtlich Quälerei. Denn die Praxis liegt im ersten Stock, ohne Fahrstuhl. Aber mit hübscher Wendeltreppe. Seit dem Aufwachen überlege ich wie ich schadlos die Stufen hochkomme. Das wird noch spannend. Vielleicht bleib ich auch unten im Flur stehen und fuchtel wild mit den Gehhilfen herum. Die erste Herausforderung wartet aber auf mich, ehe ich überhaupt in die Nähe der Treppe komme. Ausgerechnet heute wurde die Hecke entlang des Zugangsweges entfernt und der gesamte Weg liegt voller Äste. Die Arbeiter schauen ganz interessiert zu wie ich mich da durchkämpfe. Fühle mich wie Lara Croft. Oder ein torkelnder Pinguin. Sucht es euch aus. Einer der Mitarbeiter der Praxis steht gerade vor der Eingangstür und beobachtet ganz fasziniert, wie ich mich mitsamt Gehhilfen die Stufen hochheddere. Ich bin heute 1a Anschauungsmaterial.

Nach der Eingangstür kommt die Wendeltreppe und als ich die unter erheblichen Wirksamkeitseinbußen meines Deos erklommen habe, verkünde ich nach Betreten der Praxis, dass ich hiermit eine Einheit Physiotherapie schon hinter mich gebracht habe. Grillenzirpen. Die Sprechstundenhilfe guckt verwirrt hinter der Plexiglasscheibe vor und nebenan springt gerade ein Kaffeeautomat an. Schön. Ich schnaufe. Ich hyperventiliere. Ich fülle meinen Patientenbogen aus und darf mich dann auf eine Liege legen.

Ich sag euch, Physiotherapie ist schlimmer als Schlussverkauf im Woolworth. Das schmerzt wie Hölle! Da stellt die Therapeutin einfach mal fest, dass ich mein Bein nicht komplett strecken kann und bearbeitet es so, dass ich mich zum Schmerz wegatmen an die Atemübungen aus dem Geburtsvorbereitungskurs erinnere, den ich nie besucht habe. Wie lange dauern eigentlich dreißig Minuten? Warum sind die Vorhänge gestreift und der Bezug der Liege nicht? Hab ich am Eingang meine Hände desinfiziert? Und wie bin ich nochmal die Treppe hochgekommen? Ok, davon streckt sich mein Bein leider auch nicht durch. Es zieht. Ich verziehe das Gesicht. Die Therapeutin drückt. Beugt. Drückt. Massiert das Bein. Ich jaule leise. Die halbe Stunde ist vorbei und ich fühle mich, als hätte ich drei Wochen Bootcamp hinter mir. Nächste Woche geht es weiter und ich frage mich, ob mir meine Mama eine Entschuldigung schreibt.

Die Treppe herunterzuhumpeln ist wesentlich einfacher als hochzuschnaufen, man glaubt es kaum. Die Äste auf dem Gehweg sind weg. Wo bleibt denn da die Herausforderung? Dafür steht da jetzt ein Bagger. Und an dem kämpfe ich mich ähnlich schwungvoll vorbei wie Indiana Jones sich einst durch den Tempel des Todes. Weil es noch dauert bis ich abgeholt werde, holpere ich hochmotiviert zur Praxis meiner Hausärztin 100 Meter weiter. Himmel, Arsch und Zwirn, ist das weit! Ich hab das Schreiben vom Chirurgen noch im Rucksack, das ich bei ihr abgeben möchte und weil ich grad einen Lauf hab, lasse ich am Tresen meine Gehhilfen beidseitig von mir wegfallen. Das Aufheben macht dann doppelt Spaß. Immerhin hab ich das jetzt auch erledigt, den Brief abgeben, nicht das Gehhilfen aufheben. Das mach ich ständig. Ich reiß damit auch Bilder von der Wand und Gläser vom Tisch. Die Dinger sind wahre Alleskönner. Herrlich. Sollte jeder mal probieren. Fünf von fünf Sternen.

Trotz allem Jammer, meinetwegen auch Gejammer, werde ich wohl in ein paar Tagen wieder zur Physiotherapie gehen und bis dahin meine Hausaufgaben machen: Bein durchstrecken, schnaufen, nochmal durchstrecken. Toll. Vielleicht ist mein Bein aber auch einfach nur eingegangen, wie meine Strickjacke im Trockner und ist deshalb geknickt. Ich weiß es nicht. Vielleicht hilft das Gequäle ja doch. Und dann brauch ich irgendwann die waffenscheinfähigen Unterarmstützen in lilaglänzend-schwarz wahrscheinlich nicht mehr. Ein Jammer.

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Kniegelenkskaputtgeschichte – nevermind.

Teil 4 – Anwinkeln, Strecken.

Wie viele Kalorien verbrennt man eigentlich auf der Bewegungsschiene? Lohnt sich das überhaupt als Ausdauersport zum Abnehmen? Und zählt Geschenke einpacken als Krafttraining? Ist der schleppende Gang zum Kühlschrank Kurzstrecke oder Langstrecke? Mach ich da was für meine Kondition? Wie zählen die Schritte, wenn ich mit Gehhilfen rumstochere? Und zählen die Schritte überhaupt, wenn ich keinen Schrittzähler trage? Warum geht die Sonne so schnell auf und so schnell unter und was hab ich währenddessen getan? Bin ich wieder ein Stück weit genesen? Und warum stelle ich so viele Fragen?

Mein Alltag ist derzeit sehr einfach und sehr strukturiert. Ich fühle mich wie ein dickes, glückliches Faultier. Die größte Herausforderung des Tages ist meine Thrombosespritze am Morgen. Die angele ich mir vom Kleiderschrank, dann seh ich sie ehrfürchtig an und begutachte anschließend die schöne Rolle Speck unterm Bauchnabel und überlege wo ich heute zusteche. Wie eine fiese Mücke. Wenn ich das geschafft habe, brauche ich erstmal eine Pause. Dann überlege ich wie ich an eine Tasse Kaffee kommen könnte. Die Zubereitung ist nicht das Problem. Ich hab inzwischen ein starkes linkes Standbein. Aber wie transportiere ich die Tasse ohne Schäden zum Bett? Oder überhaupt zwei Schritte weit, ohne den Boden in Arabica einzufärben? Jetzt beim Schreiben fällt mir auf, dass ich dafür ja meinen auslaufsicheren Thermobecher nutzen könnte! Ich bin so schlau. Nach tagelangem Grübeln fällt mir eine Lösung ein. Man sollte mich in Krisenstäbe berufen, ich wäre die ideale Besetzung.

Die erste sportliche Großleistung des Tages ist das Aufstellen der Bewegungsschiene und die erste halbe Stunde Anwinkeln, Strecken, Anwinkeln, Strecken. Ich träume inzwischen davon. Es hat aber auch etwas seltsam Entspannendes, das Bein dort hinein zulegen und zuzusehen wie es sich ohne mein Zutun stetig bewegt. Schöne Sache. Wenn ich es im Anschluss dann noch geschafft habe, ohne Komplikationen auf den Duschhocker zu plumpsen und das Wasser aufzudrehen, bin ich ein sehr glückliches, altes Mädchen. Aber der eigentlich Kick kommt noch, wenn ich wieder aus der Dusche heraus will. Die ist nicht ebenerdig – und sagen wir mal so, die Beschreibung weiter Teile meiner Vorgehensweise beim Verlassen der Dusche, würden euch alle nur verunsichern, also lassen wir das.

Danach könnte ich ein, zwei Tafeln Schokolade essen, aber der Weg zum Schrank im Esszimmer ist mir zu weit. Krasse Diätstrategie. Also such ich mir einen Zombie- oder Pandemiefilm heraus (alles das gleiche) und beruhige mein Gemüt. Währenddessen denke ich an Schokolade. Das Leben ist schön. 

Ab einem gewissen Zeitpunkt ist der Hunger aber schon nervig und ich Fuchs hänge mir einen Stoffbeutel um und wackele damit Richtung Kühlschrank. Kennt ihr den Film „Ab durch die Hecke?“ Ich bin der Waschbär Richie, immer auf der Suche nach dem nächsten großen Happen. Und das bunkere ich alles in meinem Beutel und wandere sehr zufrieden damit zurück zum Bett. Ich sage euch, von außen betrachtet muss das ein Schauspiel sein und ich habe dabei immer die Titelmelodie von Rocky im Kopf. Nur auf den Sprung am Ende des Weges verzichte ich momentan noch. Könnte blöd ausgehen.

Nach zwei weiteren straffen Einheiten im Trendsport „Anwinkeln – Strecken – Anwinkeln“, habe ich den Tag recht erfolgreich abgeschlossen, richte meinen Thrombosestrumpf und wechsle unfassbar elegant von Jogginghose zu Pyjama. Besoffene Otter sind meine größten Fans. Die Gehhilfen habe ich dabei durchschnittlich dreimal umgeworfen (das Tagesmittel liegt bei 15) und fluchend wieder aufgehoben. Es ist alles sehr poetisch. Vögel zwitschern und Häschen stecken sich verträumt Blumen hinter die Ohren. Das könnt ihr mir glauben. Vielleicht liegt es auch an den Schmerzmitteln. Wer weiß das schon. Vielleicht drehe ich auch einfach langsam durch, weil ich ein furchtbar ungeduldiger Mensch bin und so eine Genesung halt dauert. Aber zurück zum eigentlichen Punkt: Wie viele Kalorien hab ich denn jetzt auf der Bewegungsschiene verbrannt? 

Kniegelenksgeschichte – das Musical.

Teil 3 – Rehabilitation my ass.

So, die OP ist geschafft. Ich bin auf meinem Hintern zu Hause die Treppe hochgerobbt, habe meinem fünfjährigen Sohn zugesehen wie er den Duschhocker für mich zusammenschraubt und dann habe ich das geschundene Knie auf einem Venenkissen ruhiggestellt. Aber nochmal zu meinem Sohn: Wie kann ein Fünfjähriger ohne Bedienungsanleitung, die er ohnehin noch nicht lesen könnte, einen Duschhocker aufbauen und das auch noch komplett richtig? Gut, danach hat er seine Zwillingsschwester umgeschubst, das relativiert den Erfolg ein bisschen. Aber hey! Krasses Kerlchen. Jetzt kann ich mich agil wie eine Hundertjährige auf den Hocker plumpsen lassen und duschen. Fantastisch!

Am Tag der OP bin ich noch so herrlich vollgepumpt mit Schmerzmitteln und fühle mich ein bisschen unbesiegbar, weil das Laufen an Gehhilfen erstaunlich gut klappt. Am zweiten Tag find ich das alles gar nicht mehr so cool, denn der Mullverband saugt sich mit Blut voll und ich muss den erstmal wechseln. Unschön. Also versuche das Bein ein bisschen weniger zu belasten. Klappt halt nicht so gut, wenn tagsüber niemand da ist, der mir mal was zu Trinken oder zu Essen bringt. Gegen halb zwei ist der Hunger dann so groß, dass ich mich in die Küche quäle und dort verstörend unbeholfen Nahrungsmittel zusammensuche. Mit Brötchen im Beutel und der Isolierkanne am Griff der Gehhilfe stakse ich zurück zum Bett und habe gar keine Lust mehr auf den Rest des Tages, aber da ruft schon ein netter Mann von der Medizintechnik an, der mir im Auftrag der Unfallchirurgie die Bewegungsschiene liefern und erklären will. Und als es klingelt, ruft der Gatte aus dem Erdgeschoss „Hast du was an?“, bevor er den Krankenpfleger rein lässt. Nee, herrgottnochmal, ich hops hier nackig an Krücken durchs Haus und singe lustige Lieder! Und wenn ich grad so drüber nachdenke, hätte besagter Gatte mir nicht mal was zu Trinken bringen können? Nee? Hm? Für hohen Puls brauch ich keinen Kaffee, dafür hab ich scheinbar vor Jahren geheiratet. Naja.

Jetzt hab ich hier eine Bewegungsschiene, einen vollgesuppten Mullverband, die ZDF Mediathek und Marshmallows. Abnehmen würde ich auch noch wollen. Demnächst. Aber eigentlich will ich grad bloß gehen. Irgendwohin. Zehntausend Schritte am Tag. Aktuell liege ich bei 70.  Und wenn die Kinder mir weiter ab Nachmittag minütlich Weihnachtsplätzchen ans Bett bringen, dann brauch ich keine Gehhilfen mehr, dann roll ich mich die drei Meter bis ins Bad. Und dann macht der Chirurg seine Drohung wahr und operiert mich nochmal und darauf hab ich echt keinen Bock. Denn dann will er aus meinen X-Beinen O-Beine machen, um Entlastung zu schaffen. Und jetzt mal ernsthaft, wie seh ich denn mit O-Beinen aus? Bin ich ein Fußballer? Dann doch lieber die Weihnachtsplätzchen in die Schublade packen und artig Danke sagen. Die Kinder hier sind wie meine Oma, völlig unempfänglich für ein „Nein“. Absolut toll. Die werden mal großartige alte Menschen. 

Wo wir gerade bei alten Menschen sind: Ich könnte auch ein bisschen sticken. Keine Ahnung wie das geht, aber ich habe mir in einem Moment geistiger Umnachtung ein Stickerei-Seit bestellt, weil ich dachte, das könnte gut werden. Aber ich finde im Schlafzimmer keine Schere für die Fäden und im Haus sind überall kleine Absätze und Treppenstufen eingebaut, die mit Gehhilfen zu potentiellen Todesfallen werden. Also denke ich bloß ans Sticken und streame Katastrophenfilme. Man soll zur Genesung ja auch mal fernsehen, zur Entspannung. Ich gucke halt „Contagion“ und „Outbreak“, Realität gewordene Pandemiefilme. So schnell kann’s gehen. Fühlt sich an wie ne Echtzeit-Doku in Dauerschleife. Diese Welt ist ganz schön schräg. Zurück zu meinem Bein, das liegt auch schräg. Und langsam lassen die Schmerzmittel nach und ich mag‘s ganz ehrlich nicht. 

So. Und jetzt Bewegungsschiene. Das wird was. Nachdem ich mehrfach vergeblich ins Haus nach Hilfe gerufen habe, hab ich es geschafft, das acht Kilogramm schwere Ding auf einem Bein stehend selbst aufs Bett zu wuchten und in die Steckdose einzustöpseln. Halleluja. Es quietscht. Und es hebt und senkt und winkelt sich an, dieses Folterinstrument. Eine halbe Stunde lang. Anwinkeln, strecken, anwinkeln, strecken. Hatte ich erwähnt, dass in der kommenden Woche die Physiotherapie losgeht und ich da zum Chef muss und der mich bestimmt quält? Anwinkeln, strecken, anwinkeln, strecken.

Genesung nach einer OP scheint ja der reinste Stress zu sein. Nach der ersten Einheit mit der Bewegungsschiene, hab ich meinen Termin zum Verbandswechsel und humpele ganz locker-flockig in die Praxis. Dort guckt die Schwester ganz verdutzt und meint, dass so eine starke Blutung ungewöhnlich sei, der kontrollierende Arzt vermutet, dass ich bei der ersten Arthroskopie vor 23 Jahren noch ein Baby gewesen sei und da hat jemand grad frisch durchgewischt und ich rutsche aus, kann mich aber zirkusreif mit meinen zwei Unterarmstützen irgendwie balancieren und krache nicht hin. Schön. Im nächsten Leben mach ich was ohne Knie.

Zu Hause wartet meine große Tochter schon, nachdem ich die vierzehn Stufen zum Schlafzimmer wieder auf dem Hintern hochgerutscht bin und mich in die Küche gequält habe, um mich gleich wieder zu verscheuchen. Aber immerhin macht sie mir was zu Essen und ich kann mich aufs Bett legen. Das ist gut. Dort lacht mich aber schon wieder die Bewegungsschiene an und ich würde ihr gerne sagen, dass sie ne dusselige Kuh ist, aber sie will mir ja nur helfen. Und ihr seht, die Genesung macht mich derart kirre im Kopf, dass ich schon anfange Maschinen zu vermenschlichen. Es geht bergab mit mir. Oder bergauf. Wie man’s nimmt. Tschüss.

Bilder: www.pexels.com

Kniegelenkskaputtgeschichte again.

Teil 2 – Einmal Narkose bitte.

Über Nacht hat es geschneit. Warum? Ich darf nix trinken und versäume den ersten Kaffee des Tages. Aber heute ist es endlich soweit und ich hab leichte Panik. Auf dem Weg zur Unfallchirurgie schmerzt mein Knie, als wolle es mir sagen: „Zeit wird‘s!“ Hunger hab ich. Und Durst. Aber dieses Konzept nüchtern zur OP zu erscheinen, macht mir einen Strich durch die Rechnung. Dafür waren die Kinder schlecht drauf und haben gemault. Das war auch schön. Kann also nur besser werden.

Als ich dann kurz vor dem OP Zentrum warten muss und es einfach nur still ist, ist das das schönste Geräusch überhaupt. In Kürze schlafe ich einfach weiter und das macht den Tag – trotz latenter Skalpell-Panik – noch ein bisschen grandioser. Die MitarbeiterInnen helfen mir super durch den Check-In. Ich bekomme ein sehr hübsches OP-Hemd an und schwarze Thrombosestrümpfe. Das ist schon alles ganz stylish, muss ich zugeben. Im Vorbereitungsraum wird mir eine Flexüle gelegt, aber ich bekomme das alles gar nicht mit, weil ich währenddessen auf einem Großbildschirm eine Dokumentation über das Leben am Kongo sehen kann. Da die Schulter-OP vor mir etwas länger dauert, kann ich auch noch die Tierwelt entlang der Elbe bestaunen. Bevor die nächste Doku anläuft, bringt mich eine der OP-Schwestern dann aber rüber in den Operationssaal. Und jetzt ist hier Kirmes. Ich sag’s euch, mein Puls macht sich vor Aufregung selbstständig. Und langsam merke ich, dass es jetzt echt los geht. Mama wird operiert.

Ich bekomme eine Kehlkopfmaske übergestülpt und stelle mich selten blöd beim ein- und ausatmen an. Die Maske saugt sich ganz komisch fest und ich hab das Gefühl, dass da gar nix ankommt. Plötzlich riecht es nach einem 1a-Chemielabor beim einatmen, der Anästhesist sagt zur mir noch: „Schlafen Sie schön.“ – und ich denke so: „Ach guck, Ernie und Bert auf der OP-Haube.“ und weg bin ich. Als ich aufwache, werde ich in den nächsten schönen Raum geschoben, wo beruhigende Landschaftsaufnahmen in Dauerschleife laufen. Und ehe ich was sagen kann, werden mir Kaffee und ein Käsebrötchen serviert. Leute, daran könnte ich mich gewöhnen.

Ich verteile ganz selig Komplimente an alle, die hübsche OP-Hauben tragen und das ist hier so ziemlich jeder. Als der Chirurg zur Nachbesprechung kommt, mir erklärt, dass ich in zwei Tagen eine Bewegungsschiene nach Hause bekomme und in einer Woche die Physiotherapie beginnt, bin ich schon fast wieder richtig wach. Dann sagt er den kleinen, schönen Satz: „Ich hab‘s in Ordnung gebracht.“ Wisst ihr, was das nach jahrelangen Schmerzen bewirken kann? Dieser kurze Satz, der so viel Hoffnung auf Besserung macht? Wahnsinn. Wenn die Heilung jetzt gut klappt und ich wieder richtig Fuß fassen kann, dann bin ich mehr als glücklich. Wenn die Schmerzen im Knie weniger werden, die Hüfte nicht mehr durch die Schonstellung zu stark belastet wird und auch weniger schmerzt, dann wäre das alles ganz wunderbar. 

Ich habe die Schmerzen im Knie über Jahre ignoriert. Die gehörten halt dazu. Als ich mir dann aber im Sommer erst eine Bänderzerrung und dann den finalen Schuss ins Knie dank eines Legosteins zuzog und die Schmerzen sich übers Knie bis in die Hüfte verlagerten, meine Hausärztin mich wohlweislich an einen Unfallchirurgen überwies, der ein MRT anordnete, dann dicke Backen machte, als er das Ausmaß des Schadens auf den Aufnahmen sah und mir klipp und klar sagte, dass ich mit diesen Traumata im Gelenk eigentlich gar nicht mehr laufen können dürfte, wurde mir klar, was für einen Raubbau ich an meinem Körper veranstaltet habe. Über Jahre. Weil alles und jeder wichtiger war als ich. Und damit bin ich mit Sicherheit nicht allein. 

Sei mal ehrlich zu dir selbst: Du kümmerst dich um deine Kinder, deine Familie, deinen Job. Du arbeitest Wäsche und Einkäufe ab. Machst Hausaufgaben mit den Kindern. Gehst auf Elternabende und Versammlungen. Koordinierst Arzt- und Therapietermine. Räumst auf, kochst, machst den Abwasch und fängst von vorne an. Und wenn du dann noch versuchst deine Ehe instandzuhalten, ohne dass dir dabei irgendwie geholfen wird… aber ich schweife ab. Was ich sagen will: man verliert sich im Alltag. Man hat alles Blick, nur nicht sich selbst. Und das ist fatal. Das lerne ich gerade aus so vielen Dingen, die in den letzten Monaten passiert sind. Das begreife ich Stück für Stück. Und deshalb hab ich auch an vielen Stellen die Reißleine gezogen, weil ich mich sonst selbst verliere. Und dann bin ich auch keine gute Mutter mehr. Dann bin ich nur noch ein Scherbenhaufen. Die ersten heftigen Risse sind schon da, aber die kann ich vielleicht wieder kitten. Mal sehen.

Am Ende ist das hier gar nicht mal die Geschichte, eines kaputten Knies, sondern vom Erodieren der eigenen Gesundheit, weil man zu wenig Acht gibt auf sich selbst. Und das ist doch scheiße.

Ich weiß nicht mal, wann das passiert ist, dass mein Außenmeniskus zerfetzt wurde. Ich hab es nicht mitbekommen! Es muss schon länger her sein, denn durch einen losgelösten Muskellappen (das klingt so eklig), der sich zwischen die Knochen geschoben hat, hat sich der Knorpel im Kniegelenk in Wohlgefallen aufgelöst. Und das muss doch zu irgendeinem Zeitpunkt schmerzhaft gewesen sein, oder nicht? Und ich habe das nicht mitbekommen, weil ich zu beschäftigt war! Das Leben ist doch manchmal nicht zu fassen!

Wie dem auch sei (was ist das eigentlich für ein bescheuerter Satz!), ab morgen hänge ich mein Bein in eine Bewegungsschiene und das ist doch auch Sport. Womit wir wieder beim Abnehmen wären. Und damit verabschiede ich mich erstmal. Tschüss.